Erst Lewandowski, dann erneut WM-Gürtel

Boxprofi Tina Rupprecht hat es geschafft

09.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:34 Uhr
Boxen vom Feinsten: "Petko's Fight Night" fand diesmal Im BallhausForum in Unterschleißheim statt. −Foto: R. Kaufmann

Boxprofi Tina Rupprecht hat es geschafft, sie darf sich weiterhin WBC-Weltmeisterin im Mimimumgewicht nennen. Dass es gegen Maricela Quintero "nur" zu einem Unentschieden nach zehn hart umkämpften Runden reichte - im Endeffekt völlig egal. Die 26-Jährige hat nach einem denkwürdigen Abend in Unterschleißheim den begehrten Gürtel immer noch in ihrem Besitz - und schon Anfang Juli wird es für sie erneut in den Ring gehen.

Das Gesicht unterhalb des linken Auges: dick angeschwollen. Eine leichte Blaufärbung der dortigen Haut: ebenfalls nicht zu übersehen. "Was soll's? So etwas gehört beim Boxen einfach dazu", sagt Tina Rupprecht und lächelt. Aber leicht hatte sie es zuvor wahrlich nicht gehabt in Unterschleißheim, bei der Verteidigung ihres WBC-Weltmeistertitels im Minimumgewicht (bis 47,627 Kilogramm). Zum allerersten Mal in ihrer Profikarriere durfte die Augsburgerin den Ring nicht als strahlende Siegerin verlassen, musste sich stattdessen mit einem Remis gegen die Mexikanerin Maricela "Baby" Quintero begnügen. Nun gut, der WM-Gürtel gehört zwar immer noch ihr. "Aber ein Unentschieden im Boxen ist eigentlich ein Riesenschmarrn", ärgert sich Alexander Haan.

Rupprechts Entdecker beziehungsweise Cheftrainer wirkt in der Tat sehr nachdenklich. Nein, auf "Tiny Tina" ist er nicht sauer ("Sie hat viel von dem umgesetzt, was ich vorgegeben hatte, und war auch konditionell sehr gut drauf"). Es war vielmehr ein gestandener Schwede namens Andreas Stenberg, der ihm die Stimmung verhagelte - weil er das Kunststück fertig gebracht hatte, die drei letzten Kampfrunden allesamt zugunsten der Herausforderin aus Mexiko zu werten. So wurde aus einem 68:65-Vorsprung von Rupprecht plötzlich ein 95:95 auf seinem Zettel. Und da die Russin Irene Kostenko gleichzeitig die Deutsche mit 98:92 vorne hatte, während der Italiener Guido Cavalleri mit 97:94 für Quintero stimmte, stand eben auf einmal das Unentschieden zu Buche.

"Natürlich war es sehr eng, die Mexikanerin war eine sehr unangenehme Gegnerin", räumt Haan zwar ein: "Aber wir haben alle Runde dominiert. Ich hatte nie das Gefühl, dass wir nicht vorne wären - und dann das?.?.?."

Als "Tiny Tina" ihn dann anlächelt, lächelt freilich auch der Cheftrainer ein bisschen. Gequält zwar, aber immerhin. Er ist eben Perfektionist durch und durch. Sowie Gerechtigkeitsfanatiker. Ob sich Rupprecht selbst ebenfalls über das Unentschieden im Allgemeinen ärgert? Oder den Schweden im Speziellen? Die 26-Jährige schweigt nun lieber - und setzt ihr sympathischstes Lächeln auf. Sie weiß nur zu gut: Es hilft ja nichts, lange nachzukarten. "Ich bin der Meinung, dass ein knapper Sieg für mich in Ordnung gegangen wäre - nun bekam ich ihn halt nicht, aber durch solche Kämpfe wächst man trotzdem. Ich bin jedenfalls sehr froh um dieses Duell, ich nehme sehr viel daraus mit."

Und damit meint sie definitiv nicht nur die bereits erwähnte Schwellung unter dem linken Auge - resultierend aus einem unglücklichen Zusammenstoß mit Quintero. Auch der WM-Gürtel befindet sich eben weiterhin in ihrem Besitz, nur das zählt. Also gönnt sich Rupprecht sogar ausnahmsweise einen Riesenschluck Bier, stößt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Tobias Wieland sowie Haan an. Es ist doch noch irgendwie alles gut gegangen an diesem Abend im BallhausForum des Infinity Hotels in Unterschleißheim.

"Tiny Tina" ist immer noch ungeschlagen, ist immer noch WBC-Titelträgerin. Und am Morgen vor dem WM-Kampf hatte sie sogar ganz zufällig ihren absoluten Lieblingsfußballer Robert Lewandowski live gesehen - weil dieser, ebenso wie die restliche Mannschaft des FC Bayern, im gleichen Hotel wie die Blondine genächtigt hatte. Bloß dass der Torjäger aus Polen im Umkehrschluss die Weltmeisterin aus Augsburg nicht erkannte - eigentlich ein unverzeihlicher Fauxpas seinerseits. Oder nicht?

Na ja, dafür gelangen ihm dann ja am Abend zwei Treffer gegen Borussia Dortmund. Also sei ihm verziehen - gerade von Tobi Wielands Seite, denn der ist glühender FCB-Fan. Dementsprechend erfreulich verlief für den aus Sainbach (Markt Inchenhofen) stammenden 28-Jährigen bereits die Wartezeit auf den Kampf seiner Freundin - trotz aller Nervosität, die trotz aller Routine ("Mit der Zeit wird man einfach ruhiger") doch erneut aufkam.

Auch Manfred und Gisela Ludwig waren am Samstagabend wieder frühzeitig im BallhausForum - ebenfalls angespannt wie immer, ebenfalls gut gelaunt wie immer, wenn ihre Enkelin boxt. Grundsätzlich ist es wohl nicht leicht, Großeltern einer gestandenen Box-Weltmeisterin zu sein. Natürlich sind die Beiden aus Friedberg mächtig stolz auf "ihre" Tina - "aber die Gegnerin diesmal ist auch nicht schlecht", befürchtete die Oma diesmal. "Egal, wir gewinnen trotzdem", so Manfred Ludwig wie aus der Pistole geschossen - und unterstützt wurde dieser Satz sofort mit einem mehrmaligen Kopfnicken. Da konnte doch nichts mehr schief gehen.

Rupprecht selbst schlenderte zu diesem Zeitpunkt gerade von ihrem Hotelzimmer Richtung Umkleidekabine. Ihre Bandagen an beiden Händen waren zwar bereits von der WBC abgenommen worden ("Daran darf ich nichts mehr verändern") - aber diese hinderten sie nicht daran, immer wieder ein bisschen "Vitalgebäck" zu naschen, wie es auf der Verpackung stand. "Das ist noch ein bisschen Zucker, das sind noch ein paar Kohlehydrate", so die 26-Jährige ganz auskunftsfreudig. Beziehungsweise ohne jede Nervosität, zumindest nach außen hin. Dass sich im Publikum diesmal solch deutsche Boxgrößen wie Dariusz Michalczewski, Artur Abraham, Axel Schulz oder Jürgen Brähmer befanden - "natürlich ist dies eine große Ehre". Mehr aber auch nicht.

Rund eine Stunde später wurde es dann endgültig ernst für Rupprecht, die ja ehrenamtlich als Botschafterin der Schrobenhausener Aktion "Discofieber" fungiert: "Baby" wartete, 33 Jahre alt, 1,54 Meter groß, bis in die Haarspitzen motiviert. Also raus in die Halle, ihre Fans warteten dort ebenfalls erwartungsfroh - um gleich mal ungläubig schauen zu müssen. Aus den Lautsprechern dröhnte nämlich nicht "Tiny Tinas" langjähriger Einlaufsong ("Sail" von "Awolnation") sondern "Don't Stop Believin'" von "Journey". Ein Fehler der Organisatoren? "Nein, sie wollte das so", verrät ihr Freund Wieland inzwischen: "Aber nachdem sie dann den Kampf nicht gewann, sollten wir das vielleicht überdenken."

Exakt um 21.15 Uhr betrat Rupprecht den Ring. Anschließend das übliche Prozedere, mit Nationalhymnen und so weiter, und so weiter - bis es sechs Minuten später endlich los ging: Die Titelverteidigerin aus Augsburg, diesmal im goldenen Röckchen sowie mit weißem Oberteil unterwegs - gegen die erfahrene, fast schon ausgebufft wirkende Mexikanerin. Freunde des munteren Schlagabtausches kamen hier nicht wirklich auf ihre Kosten - denn beide Rivalinnen taktierten, gingen kaum ein Risiko, warteten ab. Wenn dann doch jemand nach vorne ging, war es allerdings meist Rupprecht - und in der Nahdistanz glänzte sie dann stets mit guten Kombinationen. Kurzum: Dass sie nach vier und sieben Runden jeweils mit 2:1 Richterstimmen vorne lag, ging durchaus in Ordnung. Umso ärgerlicher dann eben für die Titelverteidigerin, dass der Schwede Stenberg zum Schluss doch noch seine Meinung in Richtung eines Unentschiedens änderte.

"Wir sind trotzdem zufrieden, schließlich ist der Gürtel noch da", so Opa Ludwig auf der Tribüne. Die Oma direkt daneben: ebenfalls mächtig erleichtert. Ihre Daumen: vom festen Drücken für "Tiny Tina" immer noch tiefrot. "Das wird sich auch nie ändern", verriet sie, kurz nachdem ihre Enkelin direkt neben ihr in die Katakomben verschwunden war: "Eine Art Lampenfieber ist bei uns immer dabei."

Und wie geht's weiter für die WBC-Weltmeisterin im Miniumgewicht? "Sie wird schon am 6. Juli in Wiesbaden erneut in den Ring steigen", verrät Cheftrainer Haan. Vielleicht sogar wieder gegen Quintero? "Das ist Sache des Promotors", so der 38-Jährige weiter: "Wir sind jederzeit gegen jede Kontrahentin bereit. Wir haben nur kein Interesse, auch wieder gegen einen Punktrichter kämpfen zu müssen."

Roland Kaufmann