Aichach
Erosion ist nicht gestoppt

Das Projekt "Volksmusik im Wittelsbacher und Dachauer Land" wird abgeschlossen - nicht alle sind zufrieden

20.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:15 Uhr
Die Aichacher Bauernmusi spielte im Altomünsterer Kappler-Saal auf, als 2013 das Projekt "Volksmusik im Wittelsbacher und Dachauer Land" startete. −Foto: Wolfgang Glas

Aichach - Volksmusik ist Kultur.

Sie hilft Menschen, sich mit ihrer Region und ihrer Herkunft zu identifizieren. Deshalb muss sie erhalten, gepflegt und wieder im Alltag erlebbar werden. Mit dieser Zielsetzung startete 2013 das Projekt "Volksmusik im Wittelsbacher und Dachauer Land". 175000 Euro und Personal stellten die Bezirke Oberbayern und Schwaben, die beiden Regionalentwicklungsvereine Wittelsbacher Land e. V. und Dachau Agil sowie die Europäische Union bereit. Allein über deren Förderprogramm LEADER flossen 60 Prozent der Summe.

Jetzt, im Oktober, wird das Projekt mit einem Veranstaltungsreigen abgeschlossen. Aber: Zufrieden mit den Ergebnissen ist niemand. "Die Erosion der Volksmusik konnte nicht gestoppt werden", sagt Sigi Bradl, Ideengeber der Maßnahme, ehrenamtlicher Volksmusikpfleger des Landkreises Aichach-Friedberg, selbst Musikant und als Vorsitzender des Fördervereins bayerische Sprache und Dialekte ein anerkannter Wahrer traditioneller Kultur und Lebensart.

Das landkreis- und bezirksübergreifende Vorhaben war ehrgeizig. Es wollte Kinder Volksmusik und Tänze lehren, Singpaten ausbilden, Lehrer und Erzieherinnen als Multiplikatoren schulen. Die Einrichtung einer regionalen Musikbibliothek war ins Auge gefasst und eine digitale Vernetzung der noch bestehenden Volksmusikgruppen. "Praktizierende Sänger und Musikanten konnten oft nur mit großer Mühe dazu bewegt werden, sich für das Projekt zu interessieren", schreibt hingegen Elmar Walter in seinem Abschlussbericht.

Walter ist Leiter der Abteilung Volksmusik beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege in München. Die Dachorganisation der Heimatpfleger hatte von 2013 bis 2015 die Projektsteuerung inne. Und war durchaus enttäuscht über die Resonanz: Von 245 Schulen und Kindergärten, denen Volksmusik-Singstunden angeboten wurden, hätten nur 37 Interesse gezeigt. Für die Fortbildung von Lehrern oder die Ausbildung von Singleitern sei die Projektzeit aber zu kurz gewesen, heißt es im Abschlussbericht.

Zu allem Unbill kam der Verein "Volksmusik im Dachauer und Wittelsbacher Land", der sich um die nachhaltige und dauerhafte Fortführung der Maßnahme hätte kümmern sollen, nicht aus den Startlöchern. Er ist inzwischen aufgelöst.

Tatsächlich funktioniert haben einige Volkshochschulkurse (unter anderem in Aichach, Bergkirchen und Markt Indersdorf) und der Aufbau des Internet-Portals volksmusikprojekt. de. Dort stellen sich derzeit über 100 Musikgruppen aus den Landkreisen Aichach-Friedberg und Dachau vor. Es gibt einen Terminkalender und ein digitales Buch mit Noten und Texten von rund 50 Liedern für Kinder und Erwachsene.

Die Seite ist gelungen, bestätigt auch Sigi Bradl. Sie wird genutzt von Volksmusik- und Volkstanzfreunden, die nach Veranstaltungen Ausschau halten, oder von Veranstaltern, die Gruppen für ihren Hoagarten verpflichten möchten. Aus der regionalen Musikbibliothek ist indes nichts geworden. Die sei nicht nötig, sagt der Landesverein für Heimatpflege. Es gebe genügend fachlich betreute Musikarchive, etwa bei der Volksmusikpflege der Bezirke. Das Liedgut im Dachauer und Wittelsbacher Land unterscheide sich ohnehin nicht von dem des übrigen Bayern, es weise nur wenige Eigenheiten auf.

Sigi Bradl hingegen bemängelt, dass die Projektleitung die Akteure vor Ort kaum - oder überhaupt nicht - mit eingebunden habe. Er hätte sich zudem neue Veranstaltungsformate gewünscht, ein intensiveres Netzwerken. "Wir hätten uns schon vorgestellt, dass man junge Leute zusammenbringt und ihnen die Möglichkeit gibt, Volksmusik und Volkskultur zu erleben", meint der Altomünsterer. Zugegebenermaßen sei das Nachwuchspotenzial derzeit gering, aber immer wieder gebe es junge Musikanten, die zur traditionellen Musik finden. Wenngleich oft in moderner Ausprägung, "aber diesen Freiraum muss man ihnen lassen".

Bradl selbst hat Volksmusik und Brauchtum "immer als Familie empfunden", mit der man das ganze Jahr durchlebt. Doch heute würden selbst Volksmusikveranstaltungen als singuläres Event organisiert. "Die einzige Sparte traditioneller Musik, die sich weiterentwickelt, ist die Blasmusik", diagnostiziert Bradl. "Singgruppen sind am Aussterben. Ich weiß nicht, ob ich in fünf Jahren noch genügend Gruppen für das Altomünsterer Adventsingen zusammenbringe. Und das organisiere ich seit über 40 Jahren. "

Vielleicht nehmen die Volksmusikanten nun das Angebot an, das ihnen zum Abschluss des Projektes gemacht wird: Sie sind aufgerufen, vom 4. bis 27. Oktober mitzumachen bei "Draußen aufgspielt - singen, musizieren und tanzen im Freien". Den Musikgruppen soll die Plattform geboten werden, ihre eigenen Veranstaltungen umzusetzen.

SZ


Wolfgang Glas