Erneut "nichts los im Moos"

Vor 40 Jahren wurde mit dem Bau des Münchner Flughafens begonnen - Der ächzt 2020 unter der Corona-Krise

02.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:11 Uhr
Patrik Stäbler
So leer wie nie ist momentan der Flughafen in München (oben). Eröffnet wurde dieser am 17. Mai 1992 von Königin Silvia von Schweden (unten links), im ersten Jahr kamen etwa zwölf Millionen Fluggäste. Mit dieser Zahl rechnet die Flughafengesellschaft FMG auch für 2020 - das ist ein Viertel des Vorjahreswertes. Die Diskussion um die dritte Startbahn hat sich erst einmal erledigt. −Foto: Stäbler/MUC/Gebert, dpa

München - Sein Jubiläum feiert der Flughafen in München mit einem rauschenden Fest.

Vier Tage lang strömen mehr als 50000 Menschen auf das eigens errichtete Festivalgelände zwischen S-Bahnhof und Besucherpark, lauschen dort Livemusik, bestaunen die historischen Flugzeuge und fahren mit einem 18 Meter hohen Riesenrad.

Was klingt wie aus längst vergangenen Zeiten ist gerade mal drei Jahre her. Damals feierte der Flughafen München seinen 25. Geburtstag derart groß, ausschweifend und mit einer "Mia san mia"-Attitüde, wie man sie eigentlich bloß von den hiesigen Fußballern kennt. Und heute? Zum 40. Jahrestag des Baubeginns am 3. November 1980? Ist dieses Jubiläum der sonst so eifrigen Pressestelle des Flughafens nicht mal eine klitzekleine Meldung wert? "Ehrlich gesagt hatten wir das nicht auf dem Radar", verrät ein Sprecher. "Und im Moment haben wir auch ganz andere Sorgen. "

Diese Sorgen drehen sich um ein Virus namens Sars-CoV-2 und sind am Flughafen allgegenwärtig - mal mehr, mal weniger sichtbar. Das fängt schon bei der Anreise an: Wer im Auto kommt, dem fällt sofort auf, dass nicht nur der Himmel über dem Erdinger Moos so gut wie leer ist, sondern auch die Zufahrtsstraßen zu den Terminals. Und in der S-Bahn kommt man sich kurz vor dem Ziel bisweilen wie Robinson Crusoe vor, so einsam ist's in vielen Zügen der S1 und S8.

Auch René Jacobsen nimmt täglich die S-Bahn zum Flughafen und dort die Rolltreppe hinauf ins Zentralgebäude, wo sein Blick auf geschlossene Läden fällt, auf dunkle Cafés, auf verlassene Schalter. Und: auf sehr viel Leere. "Ich finde den Anblick krass, da habe ich mich noch nicht dran gewöhnt", sagt der 33-Jährige. Was ihm aber vor allem fehle, sei die "tolle Stimmung", die vor Corona im Flughafen geherrscht habe. "Die Leute, die voller Vorfreude auf ihren Abflug warten oder gerade heimgekommen sind. "

Vielen von ihnen hat René Jacobsen das Abschieds-Helle oder ein Willkommens-Weißbier zubereitet. Denn der Hüne mit der Wuschelfrisur ist seit sieben Jahren Braumeister im Airbräu - der weltweit einzigen Flughafen-Brauerei, deren Wirtshaus so was wie das heimliche Herz des MUC ist. Hier wurde in Vor-Corona-Zeiten von früh bis spät gelärmt, gelacht, gegessen und getrunken - die Halbe Fliegerquell Helles für 2,95 Euro. Nun dagegen ist es ungewohnt still und die Stimmung gedrückt, nachdem Angela Merkel den zweiten sogenannten Lockdown angekündigt hat. Bei René Jacobsen weckt das Erinnerungen an die erste Zwangsschließung, als er zig Liter Bier in den Abguss kippen musste. "Und das, obwohl wir bei internen Meetings unser Bestes gegeben haben", sagt er und ringt sich ein Lächeln ab.

Galgenhumor nennt man das wohl - in Zeiten, in denen der Flughafen vielerorts so wirkt, als habe jemand auf die Pause-Taste gedrückt. "Durch die Corona-Krise sind wir von einer Stadt in ein Dorf geschrumpft", sagt Klaus Dörfler. "Und jetzt sind wir kurz davor, zum Einsiedlerhof zu werden. " Der 45-Jährige ist der Wirt im Airbräu und berichtet von Gästezahlen, die schon vor dem Lockdown um 80 Prozent abgesackt sind. "An schlechten Tagen waren hier drei Tische belegt", sagt Dörfler und blickt düster durch die Gaststube. "Wir haben alles total runtergefahren. "

Im Airbräu spiegelt sich - verdichtet wie in einem Brühwürfel - die Situation des gesamten Flughafens wider. Von Januar bis September gab es hier 61 Prozent weniger Starts und Landungen als 2019. Statt täglich 120000 Passagieren sind aktuell noch 20000 am Flughafen unterwegs - höchstens. Und für 2020 rechnet die Flughafengesellschaft FMG mit zwölf Millionen Fluggästen, was bloß ein Viertel des Vorjahreswerts wäre - und genauso viele wie im ersten Jahr nach der Eröffnung am 17. Mai 1992.

An jenem Tag ist es Königin Silvia von Schweden, die den feierlichen Startschuss für den Franz-Josef-Strauß-Flughafen gibt - zwölf Jahre nach dem Baustart, was erst mal an Berliner Verhältnisse erinnert. Doch anders als beim BER bremsen den MUC nicht Baumängel und Planungsfehler aus, sondern der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Er gibt nur wenige Monate nach dem Baubeginn einer Klage von Flughafen-Gegnern statt und verhängt einen Baustopp, unter anderem, weil er das Vorhaben als überdimensioniert erachtet. In der Folge speckt die FMG ihre Pläne ab, und nach weiteren Gerichtsurteilen rollen die Bagger Mitte 1985 abermals an. Sieben Jahre später ist es dann so weit: Am Abend des 16. Mai 1992 beginnt der Umzug vom Flughafen Riem - mitten in der Stadt - hinaus ins Erdinger Moos. In 16 Stunden verfrachten 5000 Helfer und 700 Lastwagen das Inventar des Airports an seinen neuen Standort, wo um 5.59 Uhr die erste Maschine mit 218 Ehrengästen zu einem Rundflug über die Alpen abhebt.

In den Anfangsjahren scheinen die Kritiker Recht zu behalten, die den Flughafen als maßlos überdimensioniert gegeißelt haben. Zu schaffen macht dem MUC vor allem die finanzielle Schieflage der Lufthansa. "Nichts los im Moos", titelt damals der Boulevard. Doch ab Mitte der 90er-Jahre setzt der Airport zum Höhenflug an: Jahr für Jahr meldet er neue Passagierrekorde, während die FMG einen Ausbau nach dem anderen plant (siehe Kasten).

Einer, der diese Entwicklung von Beginn an miterlebt hat, ist Walter Maria Verfürth. Der Apotheker hat 1992 sein erstes Geschäft im Flughafen eröffnet, heute sind es vier. Und anders als so viele Läden im Zentralbereich ist seine Metropolitan Pharmacy aktuell noch geöffnet. Zwar hat auch er sein Team verkleinern müssen, von 70 auf 15, und ja, "es fehlen die Russen, Chinesen und zum Teil auch die Araber", sagt Verfürth - also diejenigen, die nicht bloß ein Packerl Aspirin vor dem Flug kaufen, sondern Pillen und Pulver für ein paar Hundert Euro. Und doch gibt sich der Apotheker überzeugt, so wie es zuvor im Airbräu auch René Jacobsen und Klaus Dörfler ganz ähnlich gesagt haben: "Corona geht irgendwann vorüber. Und dann wird auch der Flughafen zu alter Stärke zurückfinden. "

Bei der FMG rechnen sie damit, dass man 2024 wieder die Vor-Corona-Zahlen erreichen wird, sagt Sprecher Ingo Anspach. Eine Prognose, die freilich höchst ungewiss ist. Und so herrscht 40 Jahre nach dem Baubeginn nicht etwa Jubiläumslaune am Flughafen München, sondern Katerstimmung.

DK


Patrik Stäbler