Heideck
"Erinnern heißt wachsam bleiben"

Heidecker Bürger gedenken der Opfer in der Reichspogromnacht - Klezmermusik umrahmt Veranstaltung

10.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:39 Uhr
Sängerin Juliane Ossadnik verleiht der Gedenkfeier in Heideck eine ganz besonderer Note. −Foto: Klier

Heideck (mkl) Am 9. November dieses Jahres 2019 sind es genau 30 Jahre gewesen, dass die Berliner Mauer gefallen ist.

Es war das Ergebnis einer friedlichen und gewaltfreien Revolution, die schließlich zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geführte hat. Ein Glücksfall in der Geschichte Deutschlands.

Aber noch weitere geschichtliche Ereignisse sind mit dem 9. November verbunden. 1918 hatte Philipp Scheidemann an diesem Tag die erste Deutsche Republik ausgerufen. Am 9. November 1923 scheiterte der sogenannte Hitler-Putsch in München. Zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte gehört aber der 9. November 1938. In der Reichspogromnacht brannten jüdische Geschäfte und Synagogen. Die systematische Verfolgung der Juden begann.

Daran hat die Gedenkfeier "81 Jahre danach: Erinnern heißt wachsam bleiben" erinnert, die am Samstag im Evangelischen Gemeindehaus in Heideck stattgefunden hat. Wie schon in den beiden Jahren zuvor gestaltete das Claus Raumberger Ensemble diese Feier musikalisch.

Im Gemeindesaal lauschten die Zuhörer zu Beginn dem Klagelied "Ghetto", das Claus Raumberger vom Foyer aus auf dem Altsaxophon erklingen ließ. In weiteren Titeln bewies Claus Raumberger, dass er auch die Klarinette meisterlich beherrscht. Ehefrau Renate Raumberger (Kontrabass), Kristian Dittmer (Klarinette), Manfred Schmidkunz (E-Piano) und Udo Reichert (Schlagzeug) gehören zum Ensemble, das mit harmonischem, virtuosem Spiel der Klezmermusik überzeugte. Eine besondere Note mit ihrer bezaubernden Stimme verlieh der Feier die Sängerin Juliane Ossadnik, die zusätzlich die Klarinette und das Tenorsaxophon virtuos spielt.

Der Begriff Klezmer steht im modernen Hebräisch für den Ausdruck "Musikanten". Es handelt sich um weltliche jüdische Musik, die sich an religiösen Traditionen orientiert und vor allem bei Festen gespielt wird. In ihren Melodielinien erinnert die Klezmermusik an die menschliche Stimme. Dabei findet ein häufiger Wechsel zwischen Dur und Moll statt.

Stadtratsmitglied Reinhard Spörl erinnerte in seinen Begrüßungsworten an die Bedeutung des 9. November in der deutschen Geschichte und besonders an die Geschehnisse in der Pogromnacht von 1938. Bei einem Besuch im tschechischen Saaz sei ihm bewusst geworden, dass auch dort die Juden verfolgt wurden. Trotzdem sei dieser Tag, wie schon erwähnt, auch mit glücklichen Ereignissen verbunden. Unvergesslich sei die Freude, die in Fernsehbildern vermittelt wurde, als die ersten Trabbis in den Westen fahren konnten. Dazu passte der rhythmische "Dance of delight", gespielt vom Claus Raumberger Ensemble.

Heidecks stellvertretender Bürgermeister Dieter Knedlik stellte fest, dass laut einer Umfrage jeder vierte Deutsche antisemitische Gedanken hege. Das sei aber, wie man festgestellt habe, durchaus kein Unterschichtenproblem. Die antisemitischen Übergriffe häuften sich, betonte Knedlik. Als Gegenmaßnahmen würden politische Maßnahmenkataloge nicht ausreichen. Man müsse vielmehr bei den Menschen ansetzen. Man müsse Stellung beziehen, "so wie wir es heute mit dieser Gedenkfeier tun". Allerdings hätte man sich in Heideck über eine größere Beteiligung gefreut.

Mit ergreifender Stimme interpretierte Juliane Ossadnik "Ss brent, Brider", in der eine schlimme Vorahnung auf kommende Ereignisse anklingt. Der folgende Klezmertitel "Hershel" gehört zum Repertoire des bekannten Klarinettisten Giora Feidman. Zwischendurch lasen Monika Kauderer sowie Anne und Manfred Klier verbindende Texte.

In einer chronologischen Aufzählung wurde klar, wie die Juden in Deutschland ab dem Jahr 1933 immer mehr diskriminiert wurden. Da wurde beispielsweise der Besitz von Radios, Telefonen und Zeitungen verboten, ebenso von Schreibmaschinen, Fahrrädern und Fotoapparaten. Für Bäder gab es Zutrittsverbote, nur noch zwischen vier und fünf Uhr nachmittags durften Juden einkaufen, sogar der Kauf von Blumen wurde verboten. Dann folgte aber noch wesentlich Schlimmeres.

Die düstere Stimmung des folgenden "Nigun" unterstrich die Rezitierung der "Todesfuge" von Paul Celan, die mit der Feststellung endet: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. " Überzeugend sang Juliane Ossadnik anschließend das besinnlich-traurige Lied "Shtiler, shtiler - Sei ruhig, mein Kind, dein Lachen könnte uns verraten! " Es ist ein ungewöhnliches Wiegenlied, in dem eine Mutter das Schicksal von 4000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern schildert, die am 5. April 1943 in Ponar beim litauischen Wilna ermordet wurden. Andächtig, stehend und ergriffen lauschten die Besucherinnen und Besucher der Gedenkfeier diesem Lied.

Aktuelle Geschehnisse beweisen, wie wichtig die Forderung "Erinnern heißt wachsam bleiben" ist. Das unterstrichen Zitate aus regionalen Zeitungen. Da wurden Fußballspieler rassistisch beschimpft, ein behindertes Kind in einem Lokal angepöbelt, Politiker beschimpft und mit dem Tod bedroht, und sogar das Nürnberger Christkind wurde wegen seines indischen Vaters verunglimpft. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903 bis 1968) hatte gemahnt: "Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden. "

Heideck Stadtpfarrer Josef Schierl sprach die abschließenden Gedanken. Er forderte, dass der Maßstab menschlichen Handelns allein die göttlichen Gesetze sein müssten. Alle Diktatoren hätten sich am Baum der Erkenntnis vergriffen. Wenn sich der Mensch zum Entscheider über Gut und Böse mache, sei das immer von Übel gewesen.

Klezmermusik kann aber auch fröhlich sein. Das bewies zum Schluss das Claus Raumberger Ensemble mit "A freylikh nahkt - Eine fröhliche Nacht".