Ingolstadt
Erfrischend und fesselnd

Das Taktraum-Festival präsentiert eine bunte Musikmischung - darunter einen Gastbeitrag der Audi-Sommerkonzerte

29.07.2018 | Stand 23.09.2023, 4:15 Uhr
Sicher keine Klassik, aber ganz bestimmt klasse: dOPIUM mixt einen spannenden Soundcocktail als Gastspiel der Sommerkonzerte. −Foto: Foto: Erl

Ingolstadt (DK) Genre-Grenzen sind tabu beim Taktraum-Festival.

Zumindest musikalisch ist dies das einzige Verbot, das bei diesem siebten Taktraumfestival ausgesprochen wurde. Zum vierten Mal schon ist die zweitägige musikalische Open Range in die Festungsmauern der Reduit Tilly eingezwängt. Kein schlechter Gegensatz, denn der Freigeist des Treffens sprengt jede Erinnerung an militärischen Drill innerhalb des bedrohlichen Rondells. Kriegerische Disziplin und Ordnung werden durch die Bands und die Festivalbesucher ohnehin ad absurdum geführt.



Bestes Beispiel dafür ist das so wagemutige wie schillernde Experiment des zweiten Konzerttages - die unmittelbare Verknüpfung von Techno- und Housemusik mit Streicherklängen aus der Klassik. Der synthetisch geschaffene Name der beiden Formationen, die sich auf dieses Experiment einlassen, lautet dOPIUM. In der Chemie bezeichnet Synthese den Vorgang, bei dem aus einfach gebauten Verbindungen ein komplizierter zusammengesetzter neuer Stoff entsteht. Das französische Trio dOP und ein Streichquintett des PODIUM-Festivals Esslingen sind diese Verbindung eingegangen. Um es vorweg zu nehmen: Das Ergebnis ist so aufregend erfrischend wie ungewohnt fesselnd.



Auf dem Taktraum-Festival hat diese eigens formierte dOPIUM ihre internationale Premiere und die höchst ungewohnte Formation feiert damit zugleich den Abschluss der diesjährigen Audi-Sommerkonzerte. Die drei Musiker Clement Zemstov, Damien Vandesande und Jonathan Illel aus Paris prägen eine neue Generation französischer House-Musik, die von berechenbaren Formalismen nichts hält. Und das Streichquintett tummelt sich sonst mit Kontrabass, Cello, Bratsche und zwei Violinen in den Gefilden der Klassik. Zusammen sind sie es, die bei diesem Festival am überzeugendsten die Genre-Grenzen sprengen. "Ist das Klassik? " fragt gleich nach den ersten Tönen einer der jungen Festivalbesucher ungläubig seinen Nachbarn, als Kontrabass und Synthesizer, wuchtige Bässe und flirrend schrille Fiedelklänge eine seltsam-ungewohnte Symbiose eingehen. Wer möchte, kann diese Klänge als eine Fusion aus elektronisch fokussierter Tanzmusik mit modern interpretierter klassischer Musik definieren. Aber wer möchte bei dieser Premiere schon gleich eine Analyse starten?

Viel wichtiger ist die Wirkung auf die Zuhörer von Instrumenten, für die Mozart schon komponiert hat und die sich nun in die Welt der verzerrenden Elektronik stürzen. Vor allem aber erleben die dicht gedrängten Besucher unmittelbar vor der Main Stage den krassen Unterschied zu den monotonen Rhythmen, die zuvor von DJ's über den Platz geflutet wurden. Stundenlang, ununterbrochen und mit dem massentauglich hämmernden Sound glatt gebügelter Studioaufnahmen. Manche der Zuhörer reagieren unschlüssig auf das Neue, auf den ungewohnt variierten Soundcocktail von der Bühne herunter weit ab von jeder Monotonie. Und sie staunen über die Vielfalt an klappernden Rhythmen, flippig gedehnten Sequenzen und erfrischenden Ideen, die dOPIUM ins Publikum werfen. Das alles zusammen ist sicherlich keine Klassik, aber ganz bestimmt klasse.

Organisator Christopher Britt hat für beide Tage versucht, eine kunterbunte Mischung auf seine drei Floors zu bringen. Sicherlich ist dabei nicht alles, was glitzert ein Diamant und nicht alles was tönt auch wirklich gute Musik.

Das gilt am Freitagabend nicht für Marlene Nader alias Mavi Phoenix aus Linz. Da steht endlich mal eine Frau mit Band auf der Bühne, die Musik da anpackt, wo sie die Menschen aufrüttelt - am Gespür für Leidenschaft und Dynamik. Ihre Stimme ist klar, ausdrucksstark und mit mehr Inhalt, als die Texte alleine vermitteln. Ihr Drummer und auch der Keyboarder sind ein Glücksgriff für dieses Energiebündel. Sie stoßen die Beats von der Bühne ins Publikum, elektrisieren und lassen die Rhythmen von hunderten Beinpaaren in den Staub der alten Forte stampfen.

Highlight der Freitagnacht ist der Rapper Trettmann aus Karl-Marx-Stadt, wie er betont. Erstmals ist der Platz vor der Hauptbühne mit Leuten vollgestopft. Trotz der unerträglich schwülen Hitze zieht er seine Kapuzenjacke auch im Dunst des Bühnennebels und rastloser Liveperformance nicht aus. Seine Texte treffen den Zeitgeist auf den Nerv, fachen die Fans zu Begeisterungsstürmen an. Die Festungsmauern wackeln - es ist ein gutes Zeichen.
 

Lorenz Erl