Ingolstadt
Er kämpfte gegen das Vergessen

Hugo Höllenreiner ist tot

11.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:12 Uhr

Er überlebte den Holocaust: Hugo Höllenreiner kämpfte als Zeitzeuge gegen das Vergessen an und hielt viele Vorträge über seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern der Nazis - so wie im Jahr 2012 bei der Katholischen Hochschulgemeinde Ingolstadt.

Ingolstadt (DK) Er wirkte nur noch wie ein Schatten seiner selbst, als ihm unsere Zeitung Anfang April, kurz vor dem Welt-Roma-Tag, in seinem Haus in Ingolstadt einen Besuch abstattete. Die einst stolze und stattliche Erscheinung des Sinto und KZ-Überlebenden war schon von Krankheit gebeugt.

Nur noch ein Hauch seiner ehemals so starken Präsenz wahrnehmbar. Die Demenz lag wie eine dunkle Decke über seinem Geist: Erinnerungen nur angedeutet in vagen Worten, Satzfetzen gerupft aus schmerzlicher Erinnerung. Es war ein Treffen, bei dem viel Schweigen herrschte. Hugo Höllenreiner ist tot. Mittwochnacht starb er im Alter von 81 Jahren im Klinikum Ingolstadt. Ganz friedlich, sagt sein Enkel, sei er entschlafen. Ein Trost für die Hinterbliebenen, denen immer bewusst war, wie schwer das Leben nach dem Holocaust für das Familienoberhaupt war.

Lange Zeit konnte Hugo Höllenreiner nicht sprechen über das Grauen, das ihm und den Seinen in den Konzentrationslagern der Nazis widerfahren war. Lange zog er sich zurück, machte es mit sich allein aus. Doch irgendwann entschloss er sich, seine Erinnerungen zu teilen, denn er begriff, dass auch er kämpfen musste gegen das Vergessen, wie andere Zeitzeugen. Es gibt Aufzeichnungen, wo er vor laufender Kamera erzählt, wie KZ-Arzt Josef Mengele seine teuflischen Experimente an ihm, dem damals neunjährigen Jungen, vornahm. Da schüttelt ihn das Grauen, mit bebender Stimme ruft er zwischendurch die Muttergottes und den Herrgott an, aber er spricht weiter. Es ist kaum erträglich, ihm zuzuhören und zuzusehen.

Hugo Höllenreiner wurde am 15. September 1933 in München geboren. Seine Eltern gaben ihm den zweiten Vornamen Adolf, denn sie hofften, ihn damit zu schützen. Die Familie lebte mit sechs Kindern im Stadtteil Giesing. Der Vater hatte lange Zeit ein Fuhrgeschäft mit Pferden. Hugo und seine Geschwister bekamen schon früh zu spüren, was es hieß, ein „Zigeuner“ zu sein. Für die Nazis waren die Sinti dann nur noch gefährliche „Volksschädlinge“, die besondere Steuern entrichten mussten oder zu Zwangsarbeit herangezogen werden konnten.

Am Morgen des 8. März 1943 verhafteten Polizisten die Familie Höllenreiner in ihrer Wohnung. Einige Tage später wurde sie mit anderen Sinti und Juden ins „Zigeunerlager“ nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort herrschten katastrophale Lebens- und Arbeitsbedingungen. Rund 500 000 Sinti und Roma wurden während des Holocaust ermordet.

Selbst Kinder wurden Opfer grausamer pseudomedizinicher Versuche. Auch der kleine Hugo Höllenreiner, der panische Angst hatte, sterilisiert oder zur Frau umoperiert zu werden, wie Gerüchte über Mengeles Experimente kursierten. Später berichtete er, der Hunger habe ihn so gequält, dass er überlegte, welche Körperteile von Toten er essen könne. Er pulte Essenskrumen aus Fingern der Leichen.

Wie durch ein Wunder überlebte Höllenreiner mit seinen Eltern und Geschwistern die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen und Bergen-Belsen, wo er 1945 befreit wurde. Doch die seelischen Wunden der KZ-Haft verheilten nie. Oft schilderte der Zeitzeuge, er habe immer den Kopf voll gehabt, Schreckensbilder verfolgten ihn Tag und Nacht. „Ich habe nie Ruhe gekriegt.“ Eingebrannt die Erinnerungen, so wie die Nummer in seinen Arm: Z für Zigeuner, und dann die Zahlen 3529.

Seit den späten 1990er Jahren berichtete Höllenreiner in zahlreichen Vorträgen über seine Erlebnisse. Bücher und Dokumentationen über seine Lebensgeschichte erscheinen. Im Jahr 2013 wurde ihm im Jüdischen Museum in München der Austrian Holocaust Memorial Award verliehen. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hielt damals die Laudatio. Sie schreibt anlässlich seines Todes: „Kein Buch oder Film kann die Begegnung und das Gespräch mit Menschen wie mit Hugo Höllenreiner ersetzen. Mit seinem Wirken hat er ein Denkmal geschaffen, das die nachfolgenden Generationen lebendig halten müssen.“

Hugo Höllenreiner, der sich immer auch für die Rechte der Sinti und Roma einsetzte, wird am kommenden Samstag um 13 Uhr auf dem Friedhof der Gemeinde Baar-Ebenhausen vor den Toren Ingolstadts in der Familiengruft bestattet.