Rohrbach
Entschuldigung für den Tatzenstecken

Oberlehrer Hans Schlegl schrieb "Rohrbacher Heimatlieb" für Auswanderer nach Amerika

14.05.2019 | Stand 02.12.2020, 13:59 Uhr
Dem Oberlehrer Hans Schlegl haben die Rohrbacher ihr Heimatlied zu verdanken. Er schrieb es angesichts der Emigration nach Amerika. −Foto: Archiv Schwarzmeier

Rohrbach (PK) Die Rohrbacher 1150-Jahr-Feier macht's möglich: Am Mittwoch um 20 Uhr treten Gerhard Polt und die Well-Brüder aus'm Biermoos in der Turmberghalle auf. Einlass wird ab 19 Uhr gewährt. Karten für "Im Abgang nachtragend" gibt es keine mehr - sie waren sofort ausverkauft. Auf die Gäste wartet ein unterhaltsamer Abend, bairisch und urig, aber fernab von weiß-blauer Idylle. Polt und die Wellbrüder machen sich seit einiger Zeit eher rar, aber ihre Auftritte sind eine Mordsgaudi. Vor diesem Hintergrund entdeckte Ortschronist Hermann Schwarzmeier Gemeinsamkeiten zwischen Polt und dem früheren Rohrbacher Oberlehrer Hans Schlegl. Denn auch Polt arbeitete als Lehrer - und auch Schlegl schaute den Leuten auf den Mund.

Beide sind Künstler, denn Schlegl ist der Verfasser des Rohrbacher Heimatlieds. Erst dieses veranlasste die Gemeinde, den Oberlehrer wegen seiner Verdienste die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Er war der Erste, dem dies in Rohrbach zuteil wurde.

Längst sind die Zeiten der guten, alten Landschullehrer Geschichte, startet Schwarzmeier seinen Rückblick. Aber deren Verdienste und die grundlegende Entwicklung der Schulen sollten nicht nur abwertend beurteilt werden. In Rohrbach prägten ab 1903 die Oberlehrer und Hauptlehrer 60 Jahre lang den Ort. Vordem lebten sie mehr schlecht als recht vom Schulgeld der Kinder, ein paar Tagwerk Gemeindegrund und einer Kuh. "Hungerleider" nannten die Dorfleute ihre Schulmeister und die Barmherzigen brachten an Fest- und Schlachttagen so manche Guttat ins Schulhaus.

Die Stärke der alten Schule lag im erzieherischen und menschlichen Bereich. Mit der Übernahme einiger "Schanzerl" als Chorleiter, Organist und Gemeindeschreiber besserten sie ihre Kasse auf. Wegen der "Schreibfaulheit" der Dorfbewohner kam manches Schriftliche dazu. Sie gewannen an Ansehen und zählten bald zu den Honoratioren im Ort - neben Schlossherrn, Pfarrherrn und Bürgermeister. 1919 verbesserte sich mit der Übernahme in den Staatsdienst ihr finanzielles Auskommen.

Für Rohrbach ist der Einzug in die Neuzeit eng mit Oberlehrer Hans Schlegl verbunden, der hier von 1903 bis 1929 wirkte. Die Ideen dieses Machers ebneten Rohrbach den Weg zu einer fortschrittlichen Gemeinde. Wenn man weiß, dass Ingolstadt erst 1914 mit Strom versorgt wurde, Rohrbach aber bereits 1908 (Wasserversorgung sogar schon 1906), zeigen sich seine Verdienste deutlich.

Beinahe in Vergessenheit geraten ist das Rohrbacher Heimatlied. Es stammt aus der Feder von Schlegl - und er hatte es zu einem ganz besonderen Anlass verfasst. Schlegl war laut Zeitzeugen und seinen drei Kindern ein gestrenger Lehrer. Bei einem Schülerstand von über 60 Kindern kam öfters der Tatzenstecken (auch "Spanischer" genannt) zum Einsatz. Es war ein spanisches Rohr aus Palmenholz der Gattung Calamus rotang.

In der "schlechten Zeit" vor 1928 kamen Gerüchte auf: "Hast as g'hört, der Franz vom Außerbauern wandert nach Amerika aus. Ja, die Gretl Gret (Margarethe) auch und vom Meir gleich viere: die Resl, da Schorsch, da Stef und da Hans", hieß es da. Dazu andere mehr, etwa der 1,55 Meter große Dauerer Sepperl, Elektriker beim Dollinger Bernhard. Er hatte Anteil daran, als das Rohrbacher Gleichstromnetz errichtet wurde. Eine große Abschiedsfeier für die Emigranten bereitete die Gemeinde vor. Organisiert von Schlegl, der sich etwas Besonderes ausgedacht hatte. Er textete und komponierte zum Abschied für seine ehemaligen Schüler das Heimatlied.

Die erste Strophe beschreibt die Heimat: I bin a Holledauerkind, mei Heimat is meiFreud. Dort wo am Hang der Hopfen grünt, die Ilm durchs Tal hin eilt. Dort liegt mein teures Vaterland in lieblich schöner Au.

Die zweite Strophe kennzeichnet die Flur von Rohrbach: Vom Turmberg hin zum Waaler Grund, vom Kay zum Steindlberg. Und Ottersried g'hört aa ind Rund, des is mei Heimaterd. Der Kastlberg schaut freundlich nauf zum Himme weiß und blau.

Für die Auswanderer textete er die dritte Strophe und vereinte Abschied und Zuversicht: Und trennte mich auch Land und Meer, von meinem Heimatglück; Von allen die mir lieb und wert, ich denk an euch zurück. Ich hoffe auf ein Wiedersehn, auf Lieb'und Treu ich bau.

Ganz wichtig war Hans Schlegl der empfindsame Refrain des strophischen Lieds. Er sollte die Emigranten an ihren Ursprung erinnern, den sie nun verlassen - und ihnen nahelegen ihr Heimatland im Herzen zu behalten: Mein Bayerland, mein Heimatland, mei liabe Holledau, mein Bayerland, mein Heimatland, mei liabe Holledau.

Bei der Abschiedsfeier blieb kein Auge trocken, als Schlegl mit seinem Männerchor das Heimatlied zum ersten Mal vortrug. Es war sein persönliches Abschiedsgeschenk an die ehemaligen Schüler - und eine kleine Entschuldigung wegen seiner Strenge. Die Rohrbacher gelobten, dieses Lied nicht zu vergessen. Und die Schulleitung verpflichtete sich, jedem Schüler dieses zu Gemüt gehende Heimatlied zu lernen. Bis Mitte der 60er Jahre hielt sich die Lehrerschaft an dieses Versprechen. Noch lange Jahre stimmten die Rohrbacher in den Wirtshäusern zu fortgeschrittener Stunde dieses Lied an. Bei vielen offiziellen Gelegenheiten - etwa beim 90. Geburtstag des ersten Pfaffenhofener Landrats Franz Edler von Koch - sangen die Rohrbacher ihr Heimatlied.

Bis zum Wiedersehen mit den "Amerikanern" sollten beinahe 30 Jahre vergehen. Aber das Bayernland, Rohrbach und die Menschen hatten sich verändert, als in den 50er Jahren erstmals Besuch aus Übersee kam. Überwunden waren die Notzeiten der Weimarer Republik, das Dritte Reich, der unselige Zweite Weltkrieg und die schweren Nachkriegsjahre. Der "reiche Onkel aus Amerika" fand eine veränderte Heimat vor. Mit vielen Schulkameraden und Freunden gab es kein Wiedersehen. Die ihm bekannten Namen fand er am Kriegerdenkmal, in Goldbuchstaben auf schwarzem Marmor.

Am 13. Januar 1934 verstarb Hans Schlegl in München. Zu seiner Beerdigung auf dem Westfriedhof fand sich eine große Zahl von Trauergästen, besonders aus Rohrbach ein, um dem Oberlehrer die letzte Ehre zu erweisen.