Salzburg
Emanzipation auf Italienisch

Cecilia Bartoli triumphiert mit Rossinis Oper "L'Italiana in Algeri" bei den Salzburger Pfingstfestspielen

21.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:18 Uhr
Pointenreiche Inszenierung: Star der Oper "L'Italiana in Algeri" bei den Pfingstfestspielen war Cecilia Bartoli. Die Mezzosopranistin und Intendantin des Festivals gab die Isabella. Und die teilte sich die Bühne auch mal mit tänzelnden Kamelen. −Foto: Foto: Rittershaus/Salzburger Festspiele

Salzburg (DK) Tote Hose im Ehebett. Da kann Elvira tun, was sie will: mit Charme den Ehemann bezirzen, unter der Bettdecke abtauchen, Streicheleinheiten spenden oder einen erotischen Bauchtanz aufführen - sie erntet nur Grummeln und miese Laune.

Für Mustafa, den türkischen Statthalter in Algier, das ist offensichtlich, muss eine neue Frau her. Die alte will er dafür seinem italienischen Sklaven Lindoro weiterreichen. Aber: Mustafa, schmieriger Pascha und Pate, Herrscher in Feinrippunterwäsche mit Schmerbauch und Glatze, will unbedingt eine kapriziöse Italienerin: Isabella, dargestellt von der grandiosen Cecilia Bartoli. Wenn er sich da mal nicht übernommen hat.

All das wird bereits in den ersten Minuten von Gioachino Rossinis früher Oper "L'Italiana in Algeri" deutlich, die am Wochenende bei den Salzburger Pfingstfestspielen Premiere feierte. Die beiden Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier brennen bereits während der Ouvertüre ein Feuerwerk an Pointen ab: Da sieht man jede Menge witzige Orientklischees auf der Bühne, auch ein großes Bild mit Kamelen vor dem Sonnenuntergang - die dann plötzlich anfangen zu tänzeln und ein Liebesduett hinlegen.

Später treten noch gelangweilte Schafe, eine ausgehungerte, gefangengehaltene italienische Fußballmannschaft, die im Takt der Musik Spaghetti vertilgt, eine Szene aus dem Film "La dolce vita" als Anschauungsmaterial, um die Natur der italienischen Frau zu erläutern, mit Pistolen fuchtelnde Nordafrikaner und jede Menge Flachfernseher, Drucker und Notebooks in großen Kisten als Schmuggelmaterial. Das alles ist so witzig inszeniert, dass man aus dem Schmunzeln kaum herauskommt.

Im Zentrum aber steht, wie immer bei den Pfingstfestspielen, die Bartoli, Intendantin des Festivals, Forscherin und große Sängerin. Sie ist schon so etwas wie eine Marke, garantiert seit Jahren höchste musikalische und darstellerische Qualität, fast schon einen bestimmten Stil, egal, wer unter ihr dirigiert oder inszeniert.

Diesmal hat sich die Primadonna assoluta mit der Partie der Isabella allerdings einer besonderen Herausforderung gestellt. Denn die Mezzosopranistin hat als Rollendebüt eine genuine Altpartie übernommen - und gestaltet sie doch überwältigend. Niemand vermag die Koloraturen so gestochen scharf zu singen, kaum jemand schwelgt so im silbrigen Legato und auch die trompetenhafte Tiefen der Partie hat sie drauf. Ein Wunder. Darstellerisch ist die Bartoli als voll emanzipierte Italienierin, die sich von keinem Mustafa etwas sagen lässt, ohnehin eine sichere Bank.

Aber Bartoli hat auch das Geschick, hervorragende Kollegen zu engagieren. Der aus Uruguay stammende Tenor Edgardo Rocha singt mit betörender Leichtigkeit und verführerischem metallischen Timbre - ein echter Rossini-Tenor. Hervorragend auch Peter Kálmán als Mustafa mit höchst beweglicher, sonorer Bassstimme. Großartig auch der agile Sopran von Rebeca Olvera als verschmähte Ehefrau Elvira. Ein besonderes Rollenporträt gelingt Alessandro Corbelli als Isabellas Begleiter Taddeo, der ebenfalls leidenschaftlich in seine Herrin verliebt ist.

Den Orchesterpart hat diesmal wieder Jean-Christophe Spinosi mit seinem Ensemble Matheus übernommen. Das Orchester hat sich dem Originalklang verschrieben, mit allen Vor- und Nachteilen. Spinosi dirigiert markant, federnd leicht, spritzig und witzig die Handlung untermalend - und lässt doch gelegentlich philharmonischen Samt und Fülle vermissen. Jedenfalls ist das Orchester niemals in der Gefahr, die Sänger zu überdecken. Der Philharmonische Chor Wien singen nicht nur präzise, sondern zeigen auch viel humorvolle Spielfreude.

Sicher, die Inszenierung von Leiser und Caurier, die die Handlung in die Gegenwart verlegt, ist vor allem amüsant. Trotz all der Anspielungen der Partitur auf den Islam, auf Missbrauch und Unterdrückung der Frauen - die beiden umschiffen mit größtem Geschick alle Untiefen der politischen Inkorrektheit. Möglicherweise hätte ein Bezug auf die #MeToo-Debatte, auf die Flüchtlingskrise oder den Islam der Regie etwas mehr Biss verliehen. Aber hingerissen von dem Witz der Inszenierung, der Spielfreude des Ensembles und dem Sog der Musik verlieren sich solche Gedanken sehr schnell. Am Ende rauschender Beifall, Bravo-Orgie, Standing Ovations.

Jesko Schulze-Reimpell