Ingolstadt
"Eltern rate ich zu mehr Gelassenheit"

Schulamtsdirektor Anton Mang geht in den Ruhestand – Ein Rückblick auf Jahre voller Veränderungen

22.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:52 Uhr

Anton Mang gestern bei seiner Rede im Alten Rathaus.

Ingolstadt (DK) Er sei ein sehr bodenständiger Mensch, sagt Anton Mang. Geprägt von seinem Geburtsort Hepberg und der Dorfjugend, der er gern angehört hat. Seine Herkunft sei ein Grund dafür gewesen, nach dem Abitur am Reuchlin-Gymnasium den Beruf des Volksschullehrers zu ergreifen. Mang unterrichtete erst in Rennertshofen und von 1975 bis 1990 an der Maximilianstraße in Ingolstadt. Er war Rektor in Lenting und Schulrat in Eichstätt. Seit elf Jahren leitet er das Staatliche Schulamt in Ingolstadt. Gestern wurde der 63-Jährige in den Ruhestand verabschiedet. Zuvor hat sich Mang mit Christian Silvester über die erfreulichen und weniger schönen Entwicklungen in seiner an Veränderungen reichen Amtszeit unterhalten.

Sie sind dieser Tage auf Abschiedstour durch die Schulen. Was sagt man da so?

Anton Mang: Ich kenne ja viele Kollegen schon seit Jahrzehnten. Es ist mir ein großes Anliegen, noch einmal zu allen hinzugehen und mich für die Arbeit und den persönlichen Umgang zu bedanken. Ich gebe da keine Ratschläge, wie es weitergehen soll, sondern wünsche den Kollegen weiterhin alles Gute.

Welche Gefühle beschleichen Sie nach 40 Jahren im Schuldienst jetzt kurz vor dem Ruhestand?

Mang: Wenn ich jünger wäre, würde ich gerne weitermachen. Aber die Zeit ist einfach reif zu sagen: Jetzt sollen Jüngere übernehmen. Ich spüre gewisse Zufriedenheit, denn man hat einiges erreicht: mit den Schulleitern, mit den Kollegien und mit vielen Partnern, auch externen.

Sie waren Schulamtsdirektor in bewegten Zeiten. Einige Stichwörter: Bedeutungsverlust der Hauptschulen, Pisa-Gezeter, Integrationsprobleme, Übertrittsdramen, Mittelschulreform. Was hat Sie am meisten beschäftigt?

Mang: Das war einiges. Die Integration, also die Zusammenführung der Stadtgesellschaft, ist in Ingolstadt weiter eine große Herausforderung. Das geht nur über den Weg, gerade die benachteiligten Kinder besonders zu fördern, die Begabungen, die sie mitbringen, zu erkennen, und ihnen die Chance zu geben, diese Begabungen zu verwirklichen, damit sich in allen Bevölkerungsteilen ein Gefühl der Chancengleichheit bei der Bildung einstellt, das Gefühl: Wir können das erreichen!

Was musste sich dafür ändern?

Mang: In den vergangenen zehn, zwölf Jahren haben sich in Ingolstadt an den Schulen und bei der Stadt viele darum bemüht. Und der Freistaat hat viel Geld investiert, man denke an die Vorkurse, die Sprachlernklassen oder die Förderstunden. Auch die Stadt engagiert sich über die Volkshochschule, die an Schulen Kurse gibt. Man denke außerdem an die Schulpaten, Privatleute also, und an die Träger, die sich in Ganztagsschulen engagieren. Es ist ein sehr großes Netzwerk geknüpft worden. Das stimmt uns zuversichtlich. Wir haben auch Migrantengruppen, die sich stark engagieren, etwa den Integrationsverein Atlantik oder Moscheevereine. Der Bildungsgedanke, der hier gepflegt wird, ist sehr wichtig, denn die Kinder bleiben ja hier und sollen auch hier eine Zukunft haben.

Was werten Sie noch als Erfolg?

Mang: Bei den Ganztagsklassen war Ingolstadt ganz vorne dabei. Vor zehn Jahren hieß es, in den Grundschulen werde es keine Ganztagsklassen geben. Wir haben dafür in der Ungernederstraße ein Konzept entwickelt, das als erstes genehmigt wurde. Heute haben wir in Ingolstadt mehr als 40 Ganztagsklassen.

Glauben Sie, dass es in zehn Jahren noch Mittelschulen gibt?

Mang: Das hängt von so vielen Dingen ab. Die Mittelschulen – also die früheren Hauptschulen – sind inzwischen aufgefangen worden. Ihr Ruf entspricht wieder dem, was sie wirklich machen. Um das Jahr 2000 ist eine Hetzjagd auf die Hauptschulen veranstaltet worden, ohne sie richtig zu kennen! Aber die Diskussionen, die dann losgingen, und vor allem die Hauptschulinitiative des Freistaats, die übrigens auch in Ingolstadt ihren Ausgang genommen hat, haben die Hauptschulen stärker in den Fokus gerückt. Das hat zur Mittelschulreform geführt, und jetzt ist praktisch nichts mehr davon zu hören, wie schlimm diese Schule wäre – was ohnehin nie gerechtfertigt war.

Welche Entwicklungen sehen Sie weiter mit Sorge?

Mang: Es stimmt mich traurig, dass in der Diskussion – gerade von Bildungsforschern – immer wieder kommt: „Wer den Übertritt nicht schafft, ist ein Bildungsverlierer.“ Das ist überhaupt nicht haltbar! Denn zur Bildung gehören nicht unbedingt das Abitur und ein Hochschulabschluss. Es sind auch andere Kompetenzen nötig. Es kommt darauf an, dass jeder das Mögliche aus sich macht, dass er eine bestimmte Vorstellung von Werten entwickelt und diese Werte lebt. Wenn wir das gesellschaftlich hinbringen, dass alle – ganz gleich an welchem Schultyp sie sind – das umsetzen können, was ihnen am besten liegt, und jeder akzeptiert, dass alle gleich viel wert sind, dann erübrigt sich die Diskussion um die Struktur des Schulsystems!

Auch in den Grundschulen und sogar in den Kindergärten ist der Druck zweifellos gestiegen. In manchen Vorschulgruppen bekommen die Kinder Hausaufgaben auf. Was soll das bringen?

Mang: Da wäre etwas mehr Gelassenheit nötig und auch sinnvoll. Ich habe selbst drei Kinder, die alle ihren eigenen Weg gegangen sind. Oder wenn ich an meine eigene Geschichte denke: Ich bin ein Nachkriegskind, und meine Eltern hatten andere Sorgen, als sich groß um meine Ausbildung zu kümmern. Es gab auch keine Bildungsdiskussion wie heute. Dass ich ans Gymnasium gekommen bin, war eher zufällig. Meine Grundschulkameraden in Hepberg sind einen anderen Weg gegangen und haben sich im Leben auch verwirklicht. Ich sehe das Problem, dass hier viel gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird. Aber es gibt neben dem Übertritt aufs Gymnasium auch noch andere Wege zum Abitur – über die FOS etwa oder über eine Berufsausbildung. Die Menschen entfalten sich eben allmählich, die einen etwas schneller, die anderen etwas später. Der öffentliche Druck auf die Eltern ist gewaltig. Er kommt aber auch daher, dass sich die Eltern oft gezwungen fühlen, das Beste für ihr Kind zu erreichen – doch da müssen sie auch immer das Kind selbst im Auge behalten und sich an ihm orientieren. Sie sollten sich früh klarmachen, für welche Schule ihr Kind wirklich geeignet ist.

Wie konnte es passieren, dass der Terminus „Übertritt“ zum Angstbegriff geworden ist?

Mang: Ich glaube, es ist diese Bildungsdiskussion, die so lange geführt worden ist und in der Begriffe wie „Bildungsverlierer“ aufgetaucht sind. Hausaufgaben in Vorschulgruppen oder Nachhilfe in der Grundschule können den Übertritt zwar ermöglichen, aber wenn das Kind doch nicht für das Gymnasium geeignet ist, wird es zu einem Leidensweg. Warum also nicht besser gleich Erfolgserlebnisse auf einem Weg, der für das Kind geeignet ist? Daher rate ich den Eltern zu mehr Gelassenheit.

Und was raten Sie jungen Leuten, die den Beruf des Lehrers ergreifen wollen?

Mang: Sie sollen auf jeden Fall vorher Praktika machen, gerade, wenn sie sich nicht sicher sind. Bei unseren neuen Lehramtsanwärtern sind ganz viele dabei, bei denen man schon jetzt sieht, dass sie mit Kindern umgehen wollen und es auch können. Es ist ein spezieller Beruf, das muss jedem klar sein. Denn wir haben es nicht mit Aktenordnern zu tun, sondern mit Menschen.