Elegie und Aggressivität

30.03.2007 | Stand 03.12.2020, 6:53 Uhr

München (DK) An einem einfachen Holztisch sitzen sie beim Abendessen: Ein älteres Pastorenehepaar (wahrscheinlich die Eltern von Gudrun Ensslin), gramgebeugt (Hildegard Schmahl und Werner Rehm), und zwei junge Leute (vermutlich die inzwischen erwachsenen Kinder der Ulrike Meinhoff: Katharina Schubert und Sebastian Rudolph).

Quälend lange Minuten stieren sie im Halbdunkel des grauen und symbolisch klaustrophobischen Raumes stumm ins Nichts. Und wenn sie dann doch reden, schnappt das Publikum in der mit Spannung erwarteten Neuinszenierung von Elfriede Jelineks Schauspiel "Ulrike Maria Stuart" des Flüstertones auf der Bühne wegen nur Satzfetzen auf: Ulrike Meinhoffs Kinder beklagen sich über die fehlende Nestwärme, die sie bei ihrer APO-Mutter nie erfahren durften. Dazu zitieren sie mit reichlich falschem Pathos aus den Brandreden ihrer Mutter. Doch das alte Ehepaar isst lieber Salat und Krustentiere. Schließlich hat man – trotz aller Verzweiflung – im evangelischen Pfarrhaus im Schwäbischen noch Stil, wenngleich die Tochter Gudrun in den Terrorismus abgerutscht ist.

Kein Wunder also, dass Ulrike Meinhoff, die Rabenmutter, wie ein Geist im Hintergrund dem gespenstisch anmutenden abendlichen Gespräch lauscht, während Gudrun Enss?lin nach einer Dreiviertelstunde erst auftaucht, um diesem realen Spuk als Albtraum ein Ende zu bereiten. Wortlos zieht sie die Decke vom Tisch, Teller und Gläser klirren zu Boden.

Im Oktober des letzten Jahres in Hamburg uraufgeführt, ist dieses Stück in der augenblicklichen Diskussion über die Begnadigung von RAF-Mitgliedern natürlich hochaktuell – wenn es nicht so intellektuell-hochtrabend und über weite Strecken auch geschwätzig wäre. Als Sezierung der verdrängten Schichten des deutschen Unterbewusstseins über APO und RAF will die Nobelpreisträgerin von 2006 dieses Drama verstanden wissen . Wer freilich die ungeheure Aufbruchsstimmung der 68er-Generation nicht kennt, wird mit diesem Stück, das jegliche historische Aufklärung bewusst negiert, herzlich wenig anfangen können.

Dieses Manko vermutlich ahnend, erinnerte sich Elfriede Jelinek an Schillers Drama "Maria Stuart", wobei sie den Kampf der beiden Rivalinnen Elisabeth von England und Maria von Schottland um den rechtmäßigen Thronanspruch hier auf Ulrike Meinhoff und Gudrun Ensslin übertrug. Doch keinen publikumsträchtigen Zickenzoff inszenierte der Regisseur Jossi Wieler nun im 2. und 3. Bild, sondern ein wort- und argumentationsreiches, bisweilen zwischen Elegie und Aggressivität pendelndes Streitgespräch zwischen den beiden weiblichen Exponentinnen der Baader-Meinhoff-Gruppe. Im abweisend kühlen, grell erleuchteten Treppenhaus (Bühnenbild: Jens Kilian) der Justizvollzugsanstalt Stammheim treffen sie hier aufeinander, kurz vor ihrem Selbstmord.

Mag Jelineks Psychostücklein ebenso anspruchsvoll wie anstrengend sein, so brillierten hier vor allem zwei Schauspielerinnen, die diesen schwierigen, verschachtelten Text grandios veredelten: In Gestik, Mimik und Auftreten hundertprozentig ihren realen Figuren folgend, gibt Bettina Stucky die unduldsame und herzlose Ulrike Meinhoff mit rigidem Führungsanspruch ebenso erschreckend genau ab, wie Brigitte Hobmeier die knallharte Gudrun Ensslin ideal verkörpert. Nach zwei Stunden wenig Dramatik, aber viel introvertierter Selbstbespiegelung der Protagonisten des "deutschen Herbstes" spendete das Premierenpublikum erschöpft von soviel Thesentheater vor allem ihnen nachhaltigen Applaus.