Wolnzach
"Einfach rot gesehen"

Köschinger Doppelmord: Angeklagter Rentner gesteht und betont tiefes Zerwürfnis mit Schwiegersohn

19.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:47 Uhr

Der 69-jährige Beschuldigte wird zum Prozessauftakt um den Köschinger Doppelmord auf die Anklagebank geführt. - Foto: Hauser

Wolnzach (DK) In einem kleinen Album hat Gudi Schechinger Fotos von den Blumenteppichen gesammelt, die sie seit 25 Jahren an Fronleichnam legt. Heuer wird ein prominentes Exemplar dazukommen: Die Frau aus Wolnzach (Kreis Pfaffenhofen) darf mit Helfern aus der Pfarrei einen Altar in den Vatikanischen Gärten in Rom schmücken.

Ingolstadt (DK) Geständnis zum Prozessauftakt: Gleich zu Beginn der Schwurgerichtsverhandlung zum Doppelmord in Kösching (Landkreis Eichstätt) hat der angeklagte 69-jährige Rentner gestern seine Schuld am blutigen Geschehen vom September 2015 eingeräumt. Er will allerdings nur seinen Schwiegersohn absichtlich angegriffen haben; seine Tochter habe er nur aus Versehen erschossen.

Das Publikumsinteresse ist groß, das Aufgebot an Polizei und Experten ebenfalls. Gleich vier Sachverständige verfolgen das Verfahren. Sie sollen sich in den nächsten Wochen zu den Ergebnissen der Spurenanalyse am Tatort, vor allem aber auch zur psychischen Verfassung des Angeklagten äußern. Angehörige des getöteten Mannes treten als Nebenkläger auf.

Der Angeklagte machte gestern Morgen in einer von seinem Verteidiger Jörg Gragert vorgetragenen Erklärung seine seinerzeit stark angeschlagene Gemütsverfassung als Auslöser für das blutige Geschehen vom 18. September vorigen Jahres am Köschinger Ludwigsgraben geltend: Den tödlichen Schüssen ist demnach eine lange Fehde mit dem Schwiegersohn vorausgegangen, die den aus dem Kosovo stammenden Rentner offenbar zunehmend belastet hatte.

Auch die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft hatten - wie seinerzeit berichtet - schon früh auf ein Rachemotiv hingedeutet. Von einer verminderten Steuerungs- und damit auch Schuldfähigkeit des Täters geht die Anklagebehörde zunächst einmal aber nicht aus. Staatsanwalt Jürgen Staudt sieht in seiner Anklageschrift vielmehr die Kennzeichen eines gezielten Tötungsdelikts, mit den Kriterien der Heimtücke und der Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer sogar klassische Mordmerkmale als erfüllt an. Deshalb lautet die Anklage auf zweifachen Mord.

Der Ablauf der Tragödie am frühen Abend jenes Septembertages ist den Ermittlungsakten nach bereits weitgehend geklärt: Der Rentner holt, nachdem er sich durch eine Geste seines Schwiegersohnes - dieser soll ihm einen "Vogel" gezeigt haben - abermals provoziert fühlt, aus seinem Keller eine Pistole der italienischen Marke Beretta, lädt das Magazin mit neun Patronen und marschiert zum Haus von Tochter und Schwiegersohn. Schon an der Haustür zieht er die zuvor angeblich im Hosenbund versteckte Waffe, feuert damit auf den öffnenden 35-jährigen Schwiegersohn, folgt dem bereits verletzten, flüchtenden Mann in die Wohnung und schießt dort weiter, bis das Magazin leer ist. Sowohl der Schwiegersohn als auch die 39-jährige Tochter des Angreifers werden tödlich getroffen, sterben noch am Tatort.

Das ganze Drama hat nach Rekonstruktion der Ermittler gerade mal 90 Sekunden gedauert. Wenig später lässt sich der Rentner widerstandslos festnehmen. Der Polizei berichtet er in den Verhören von einem schon lange währenden tiefen Zerwürfnis mit seinem Schwiegersohn.

Auch gestern nahm dieser Komplex in der Erklärung des Angeklagten eine zentrale Stellung ein: Seit August 2014 soll das Verhältnis der beiden Männer demnach "völlig zerrüttet" gewesen sein.

Der Rentner, so heißt es in der vom Anwalt verlesenen schriftlichen Einlassung, sei vom Ehemann seiner Tochter "bei jeder Gelegenheit beleidigt" und herabgesetzt worden. Der Jüngere habe den Älteren auch bedroht und wiederholt versucht, den Schwiegervater "fertigzumachen", heißt es weiter. Am Tattag sei der Angeklagte vom Schwiegersohn unmittelbar vor der blutigen Eskalation als "Spanner" bezeichnet worden - da habe er, angeblich auch enthemmt durch den Genuss einer halben Flasche Cognac, "einfach rot gesehen" und geschossen.

Seine Tochter habe er nicht töten wollen, beteuert der Rentner in seiner Erklärung. Er habe angenommen, dass sie zum Einkaufen unterwegs gewesen sei, als er im Haus der Kinder um sich schoss. Dass auch die Frau in seiner Schussbahn war, habe er in den durch Rollos verdunkelten Räumen nicht erkennen können. Im Nachhinein bedauere er das Geschehene "zutiefst"; es werde ihn sein Leben lang verfolgen. Und: "Ich kann nicht verstehen, wie es so weit kommen konnte."

Die Strafkammer unter Vorsitz von Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl unterbrach die Verhandlung bereits unmittelbar nach Verlesung der Erklärung. Das bislang auf rund zehn Sitzungstage angelegte Verfahren soll heute Morgen fortgesetzt werden. Dann dürfte die Kammer in die Beweisaufnahme eintreten.