Theater
Einfach anders

"Nehmen Sie die Untersuchungspille" im TamS

17.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:33 Uhr
Abgründig: Das Theater Apropos ist noch bis zum Wochenende im TamS zu Gast. −Foto: Schmidt

München - Während der Stehgeiger zur Einstimmung eine melancholische russische Weise ertönen lässt, hebt sich langsam der geraffte Plüschvorgang.

Das sechsköpfige Ensemble des Theaters Apropos schlendert in Klamotten vom Flohmarkt und aus der Faschingskiste traumverloren summend über die Nudelbrettbühne des Theaters am Sozialamt. Zylinder, Hüte aus Filz und Papier und andere Kopfbedeckungen werden getauscht und ein Bild von Karl Valentin wird feierlich an die Wand gepinnt. Symbolkraft hat das natürlich, denn herrlich hintergründig sind auch die Sketche und Mini-Szenen des Daniil Iwanowitsch Juwatschow (1905-1942), der sich Daniil Charms nannte.

Wer freilich kennt hierzulande diesen russischen Autor, dessen Gedichte, Erzählungen, Satiren und Theaterstücke zwischen Surrealismus und Dada angesiedelt sind und eben auch an Karl Valentin erinnern? Dabei sind Charms' Werke nicht nur reichlich grotesk, sondern auch subtile Anklagen gegen Stalins Gewaltherrschaft und die brutale Unterdrückung der Freiheits- und Menschenrechte in der damaligen Sowjetunion. Als Regimekritiker wurde er in sibirische Straflager verbannt und starb in der Leningrader Gefängnispsychiatrie unter mysteriösen Umständen.

Burchard Dabinnus, als Autor und Regisseur selbst ein Meister des Absurden, visualisierte als Regisseur Charms' Schauspielkunstwerke als wunderschönen Theaterabend voll skurriler Poesie. Und die sechs Mitglieder der inklusiven Theatergruppe Apropos (Maria Bauer, Laura Helle, Javier Kormann, Kerstin Schultes, Zoltan Sloboda und Irene Türk-Grimm) tauchen mit Enthusiasmus und übersprudelnder Spiellaune in all die nicht nur schrägen, sondern auch doppelbödigen und hintergründig-subversiven Szenen ein: Von einem Igel, der Kuckuck ruft, berichten sie und von Adam, der vom Baum der Erkenntnis einen Apfel stibitzt, worauf ihm übel wird, während Leonardo da Vinci Eva als Unschuldsengel porträtiert. Ein Stein in Form eines Ohres des allgegenwärtigen russischen Geheimdienstes schwebt vom Bühnenhimmel, rote Fähnchen werden während einer nichtssagenden Rede eines KPdSU-Funktionärs emotionslos geschwungen und eine Dompteuse versucht eine außer Rand und Band geratene Katzenfamilie zu bändigen. Und der Titel gebende Sketch von der Untersuchungspille, die ein Arzt seinem Patienten einflößt, gerät hier zur schwarzhumorigen Farce über die Gehirnwäsche nicht nur zu Stalins Zeiten.

Ein hinreißendes Potpourri an köstlichem Nonsens und politischen Skurrilitäten aus dem realen Absurdistan rollt hier im Schwabinger Hinterhoftheater ab, das mit Schostakowitschs Walzer Nr. 2, voll Hingabe von dem aus Syrien stammenden Shadi Hlal gespielt, als musikalischer Abschiedsgruß gekrönt wird. Ein zum Schwärmen schöner Theater-Spätsommernachtstraum.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Theater am Sozialamt (TamS), München
Regie:
Burchard Dabinnus
Bühne und Kostüme:
Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt
Nächste Vorstellungen:
18. bis 20. September
Kartentelefon:
(089) 34 58 90