Links donnern sie vorbei. Die Dinosaurier. Autos, bei denen noch Zylinder unter der Haube stampfen. Autos, die noch Abgase aus dem Auspuff pusten. Autos, bei denen der Fahrer noch selbst lenkt. Aus dem Tesla-Cockpit wirkt die Überholspur der A 9 wie eine Kampfzone: Es wird gedrängelt, aufgeblendet und hinter der Windschutzscheibe wild herumgefuchtelt. "Ihr: gestern. Ich: heute", denke ich und grinse. Mein Model S saust im Autopilot-Modus dahin. Das Paradoxe: Dieses Auto könnte 250 km
Eine Woche unter Strom

29.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:02 Uhr

Aufladen am Supercharger - das klappte im Test, wie hier an der Raststätte Hilpoltstein, problemlos. Schaltzentrale des Tesla ist ein 17-Zoll-Display. - Fotos: Oppenheimer

Links donnern sie vorbei. Die Dinosaurier. Autos, bei denen noch Zylinder unter der Haube stampfen. Autos, die noch Abgase aus dem Auspuff pusten. Autos, bei denen der Fahrer noch selbst lenkt. Aus dem Tesla-Cockpit wirkt die Überholspur der A 9 wie eine Kampfzone: Es wird gedrängelt, aufgeblendet und hinter der Windschutzscheibe wild herumgefuchtelt. "Ihr: gestern. Ich: heute", denke ich und grinse. Mein Model S saust im Autopilot-Modus dahin. Das Paradoxe: Dieses Auto könnte 250 km/h fahren. Will ich aber gar nicht. Wozu? Viel zu stressig. Ich bevorzuge die mittlere Spur. Bis zu einer Geschwindigkeit von 150 km/h lenkt, beschleunigt und bremst mein Wundermobil von ganz alleine. Ach ja, und es kommen keine giftigen Abgase aus dem Auspuff - denn dieses Auto hat gar keinen. Es fährt mit Strom.

Mit Strom? Das klingt für die meisten nach lahmer Öko-Gurke. Erwähnt man, dass man ein E-Auto fährt, so erntet man häufig ähnlich bemitleidende Blicke, wie ein Veganer in einer Runde leidenschaftlicher Steakesser. Tja, wenn die wüssten . . . Denn dieses Auto spielt bei der Beschleunigung in der Liga von Supersportwagen wie dem Audi R8. Um es schon einmal vorwegzunehmen: Nach einer Woche Tesla hat sich mein automobiles Weltbild verändert.

Ganz klar: Ein Model S ist kein Allerweltsauto. Für viele dürfte der Erwerb eines Teslas nicht an der Überzeugung scheitern, sondern am Preis. Das günstigste Model S beginnt bei etwa 78 500 Euro. Unser Testwagen - ein vollausgestattetes Model S P90D - schlägt laut Liste mit knapp 165 000 Euro zu Buche. Wer nun entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, dem sei gesagt: Dieses Auto ist kein Gegner für einen Elektro-Smart. Das selbst gesteckte Ziel ist die Oberklasse. Gegner sind also Autos wie ein Porsche Panamera, die sich beim Basispreis in ähnlichen Regionen tummeln. Tesla-Chef Elon Musk verspricht aber bald erschwinglichere Modelle (siehe unten).

Wer das erste Mal im Model S Platz nimmt, reibt sich zunächst verblüfft die Augen: Wo bei anderen Autos ein Navi-Display in Postkartengröße sitzt, wartet der Tesla mit einem 17-Zoll-Touchscreen auf. Das sieht zunächst ungewöhnlich aus, doch die Bedienung klappt in der Praxis extrem gut. Wer mit einem iPad umgehen kann, kommt auch damit bestens klar. Dieses Mega-Display ist die Schaltzentrale des Autos.

Knöpfe und Schalter sucht man im Tesla vergebens. Ausnahmen sind die Fensterheber, der Blinker- und der Automatikwählhebel - Teile, die einigen bekannt vorkommen dürften: Sie stammen aus dem Mercedes-Baukasten. Sitzheizung und Klimaanlage etwa regelt man über das Touchscreen, auch das Schiebedach öffnet sich per Fingerwisch. Es bleiben eigentlich keine Fragen offen. Wer doch hängt, kann im digitalen Handbuch nachblättern.

Man muss sich auch erst einmal daran gewöhnen, dass man als Fahrer nicht von einem Mitteltunnel eingeengt wird. Der Grund: Der Tesla braucht weder eine Kardanwelle noch ein Getriebe. Und weil keine Gänge mehr sortiert werden müssen, ergibt sich ein besonders geschmeidiges Fahrgefühl, ähnlich muss sich ein Ritt auf dem fliegenden Teppich anfühlen. Es gibt kein Geruckel und keinen aufheulenden Motor. Bei extremer Beschleunigung entsteht ein leises Surren, bei hohen Geschwindigkeiten vernimmt man nur die Windgeräusche.

Ein Model S ist definitiv kein Angeberauto. Dass Passanten reihenweise Fotohandys zücken und am Straßenrand die Daumen-hoch-Geste machen, wie bei dem extrem designten BMW i8 - das ist mir in einer Woche Tesla nicht einmal passiert. Nicht jeder weiß, was er da vor sich sieht. Kommentar einer Kollegin: "Tesla? Und der fährt jetzt also mit Gas"

Tief durchatmen, Kopf schütteln und erklären: Dieses Tesla-Modell hat zwei E-Motoren an Bord. Einen an der Vorder- und einen an der Hinterachse. In Summe leisten sie 539 PS. Unser Testwagen hat eine Besonderheit an Bord: einen "Von-Sinnen"-Schalter (kein Witz). Ist dieser aktiviert, sprintet das Auto aus dem Stand in unglaublichen drei Sekunden auf 100 km/h. Dabei wird selbst gestandenen Männern leicht schwindelig. Unglaublich aber auch der Aufpreis für diesen Modus: 11 100 Euro.

Schnell ist er also. Aber wie weit kommt man denn nun damit? Tesla wirbt meist mit gut 500 Kilometern Reichweite. Unser Testwagen - eine auf Beschleunigung ausgelegte Variante - zeigt vollgeladen 420 Kilometer an. Das ist aber selbst bei moderater Fahrweise zu optimistisch. Realistisch sind - ohne Raserei - durch Stadt und über Land 300 bis 350 Kilometer. Wer der Verlockung und Ampelsprints nicht widerstehen kann und auf der Autobahn permanent mit Geschwindigkeiten jenseits von 150 km/h dahinrauscht, dürfte vielleicht auch nur 200 Kilometer weit kommen. Auch eisige Temperaturen beim Start kosten einige Kilometer. Sitz- und Lenkradheizung saugen an den Akkus.

Weite Strecken sind trotzdem möglich. Inzwischen gibt es in Deutschland etwa 50 Supercharger - Schnellladestationen, speziell für Teslas, die so verteilt sind, dass man kreuz und quer durchs ganze Land kommt. Das Tesla-Navi kennt sie alle - und mahnt zur Langsamkeit, falls es mit dem Erreichen des nächsten Laders strommäßig knapp werden sollte.

Der Ladevorgang ist simpel: Man stöpselt das weißwurstdicke Kabel an die Ladeluke, die sich unter der Heckleuchte versteckt - fertig. Nun dauert es rund 30 Minuten bis etwa 80 Prozent der Akkus gefüllt sind. Das Beste: Das Stromtanken an den Superchargern ist kostenlos. Die Stationen liegen entlang der Autobahnen in der Regel an Rastplätzen. Wer also nicht im Auto warten will, landet häufig zwangsweise in einem Schnellrestaurant. Auch eine Spielhölle ist meist in der Nähe.

Daheim lässt sich der Tesla theoretisch auch an einer Haushaltssteckdose laden. Theoretisch deshalb, weil eine Komplettaufladung so etwa zwei Tage dauern würde. Am Starkstromanschluss im Verlagsgebäude unserer Zeitung brauchte der Tesla etwa acht Stunden für eine Vollladung. Die Kapazität des Akkus beträgt 90 kWh. Geht man von einem Preis von 30 Cent je Kilowattstunde aus, kostet einmal Volltanken rund 27 Euro.

Den Kaufpreis wird man also kaum wieder herausfahren. Der Tesla ist mehr Zukunfts- als Sparmobil. Vor allem der hervorragend funktionierende Autopilot-Modus lässt Fahrer und Passagiere staunen. Mit offenem Mund beobachtet man, wie sich das Lenkrad wie von Geisterhand bewegt. Voraussetzung: Das Auto erkennt die Straßenmarkierung. Auf der Autobahn gelingt dies fast immer, meist klappt es aber auch auf der Landstraße oder sogar in der Stadt. Doch Vorsicht: Zeitunglesen oder SMS tippen, ist in diesem Modus weder erlaubt noch ratsam. Der Fahrer bleibt in der Verantwortung.

Nicht verheimlichen wollen wir, dass der Tesla auch Schwächen zeigte. Inakzeptabel ist etwa, dass an Bord mitgeführte Smartphones von Zeit zu Zeit Interferenzgeräusche verursachen. Vermutlich tritt der Effekt dann auf, wenn das Telefon die Funkzelle wechselt. Außerdem fiel jeweils einen halben Tag aus unerfindlichen Gründen die Assistenz-Sensorik aus - somit war das Autopilot-Fahren nicht möglich. Und einen Tag lang nervte ein Reifendruckfehler im Display, der sich auch durch Luftnachfüllen nicht abstellen ließ.

Und trotzdem lautet das Fazit nach einer Woche Tesla: Dem E-Antrieb und selbstfahrenden Autos gehört die Zukunft. Egal, ob der Strom an Bord aus Wasserstoff gewonnen wird, oder aus der Steckdose kommt. Noch sind E-Autos für viele zu teuer. Doch das wird sich ändern: Auch ein Airbag schützte einst nur Passagiere der Luxusklasse.