Augsburg
Eine Spur von Blut und Gewalt

Wojtek Klemm inszeniert "Die Orestie" im Theaters Augsburg

08.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:36 Uhr

Augsburg (DK) Blut.

Eimerweise Blut. Das fließt in einer Rinne auf der schiefen Betonbühne in Richtung Zuschauer, die Reste tropfen über den Rand, an dem ein Graffiti verkündet: Orest was here. Das gibt den Grundton von Aischylos' in Trilogie am Theater Augsburg vor. Blutrünstige Antike durch den popkulturellen Zitatefleischwolf der Gegenwart gedreht. Man kann es auch Dekonstruktion nennen.

Bald gibt es Nachschub. Auf Mord folgt Mord, Hass gebiert Hass, während das Blut rinnt und Leiche für Leiche die Rinne hochgeschleppt wird. Klytaimnestra ermordet ihren aus Troja heimgekehrten Gatten Agamemnon (bei Thomas Prazak ein chauvinistischer Kotzbrocken) und seine Geliebte Kassandra, ihr Sohn Orest wiederum rächt den Vater durch den Mord an der Mutter und ihren Geliebten Aigisth. Aber dann wird der ewige Kreislauf der Blutrache durchgebrochen. Orest wird im Tempel Apollons, seines Auftraggebers, von einem Bürgergericht freigesprochen, das den Mord an dem Ehemann nicht schwerer wertet als den Mord an der blutsverwandten Mutter. Den Ausschlag gibt allerdings die Stimme Athenes. An die Stelle des archaischen Rachedenkens tritt das Recht der Bürgergesellschaft. Die Erfolgsgeschiche eines Zivilisierungsprozesses. Denkt man es nur weit genug, beginnt mit diesem Akt die Geschichte Europas, unter der Schirmherrschaft Athenes.

Genau diese Lesart der Orestie als lineare, wenn auch nicht unproblematische Erzählung (die Bürger hätten Orest verurteilt! ) vom Weg des Rechts bricht Regisseur Wojtek Klemm auf, unterläuft sie, baut sie auseinander und fügt aus den Einzelteilen eine alternative Erzählung zusammen. Es gibt keinen festen Chor - er wird von den Schauspielern wechseln gebildet -, die Figuren sind nicht eindeutig, sondern mindestens hybrid (auch in ihrer Sexualität), sie fallen immer wieder aus ihrer Rolle, quatschen im Gegenwartsdeutsch, es wird gekichert, gealbert und geslapstickt. Eine dicke Spur von Blut und Gewalt zieht sich durch die Trilogie, aber sie stammt aus der Gegenwart. Orest Sebastian Baumgart hat seinen Aufritt als Alex aus Stanley Kubricks Verfilmung von "A clockwork orange", Athene (glänzend: Natalie Hünig) und die Erinnyen sind Punk-Ladies, es gibt Verweise auf Horrorfilme, mitunter findet sich der Zuschauer in einem Splatter-Movie-Verschnitt wieder, in dem auch schon mal Monty Pythons zitiert werden. Eine Erfolgsgeschichte der Zivilisation?

Das alles, mitunter mächtig dick aufgetragen und teilweise überorchestriert, hat schon seinen Sinn: Der in Polen geborenen Klemm zeigt, dass das vom Volk für das Volk gesprochene Recht sich auch in sein Gegenteil verkehren und gegen das Volk wenden kann. Es kann auch alles anders sein. Natürlich hat der dabei den Rechtspopulismus und die Entwicklungen in Osteuropa im Blick. Damit es auch jeder versteht, zitiert Orest am Ende Viktor Orbans Konzept der illiberalen Demokratie, während die auf elektrischen Gitarren gezupfte Hymne an die Freude schon verklungen ist.

Ist das zu deutlich, zu gegenwartsbezogen, zu wenig "klassisch"? Mag sein, aber zumindest ist in dieser Inszenierung alles zuordenbar, hat Klemm mit seinem Team (Bühne und Kostüme Katrin Kersten, Musik Albrecht Ziepert, Körperarbeit Efrat Stempler) aus den dekonstruierten Teilen ein wiederum in sich stimmiges Ganzes choreografiert. Das kann man mögen oder nicht. Seiner inhaltlichen Stringenz wird man sich schwer entziehen können.

Weitere Termine im Augsburger Martini-Park: 20. Oktober, 16. und 22. November, 8. und 18. Dezember. Kartentelefon (0821) 3244900.

Berndt Herrmann