Pfaffenhofen
Eine sehr persönliche Geschichtsstunde

Pfaffenhofener Lesebühne: Lenz Prütting versucht, das Leben seines Vaters zu verstehen

23.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr
Lenz Prütting setzt sich in seinem noch nicht veröffentlichten Werk "Versuch, ein Leben zu verstehen. Mein Vater im Dritten Reich" sehr persönlich mit der deutschen Vergangenheit und seiner Familiengeschichte auseinander. −Foto: Frye-Weber

Pfaffenhofen (PK) Eine gleichermaßen fundierte und sehr persönliche Geschichtsstunde hat die vierte Lesung der Literaturtage am vergangenen Sonntagnachmittag in Göbelsbach geboten.

"Versuch, ein Leben zu verstehen. Mein Vater im Dritten Reich" ist der voraussichtliche Titel des noch unveröffentlichten Buches des Dramaturgen und Wissenschaftlers Lenz Prütting, in dem er sich mit dem Leben seines Vaters auseinandersetzt. Der 1940 geborene Lenz Prütting hat keine Erinnerung an seinen Vater Michael, da dieser im Alter von 29 Jahren im Russlandfeldzug gefallen ist, als sein Sohn zwei Jahre alt war.

Nach dem Tod der Mutter erhielt Lenz Prütting acht Tagebücher seines Vaters und den gesamten Briefwechsel der Eltern. Die Tagebücher reichen von der Gymnasialzeit, November 1934, bis zu seinem Tod im August 1942, der Briefwechsel mit der Mutter beginnt 1934. Die Dokumente geben Einblick in eine Familie, die mit dem NS-Regime völlig einverstanden war.

"Er was ein idealistischer, begeisterter Nationalsozialist, freudig bereit, bedingungslos an seinen Führer Adolf Hitler zu glauben und ihm in allem zu folgen, sogar bis in den Tod", konstatiert Lenz Prütting und sieht seinen Vater damit als repräsentativ für dessen Generation und Heimat, das protestantische Franken. Dort sei die Bevölkerung nachweislich besonders anfällig für den Nationalsozialismus gewesen.

Die Briefe und Tagebuchaufzeichnungen belegen, wie die Eltern das Zeitgeschehen empfunden und bewertet haben und seien , so Lenz Prütting, ein gehöriges, unmittelbares Stück politischer Erlebnisgeschichte weit über das private Erleben hinaus. Bei der Materialsichtung stößt der Sohn auch auf schockierende Einträge, in denen der Vater teilweise feixend und zynisch die Ermordung von Juden kommentiert. Passend zu den sehr persönlichen Reflexionen des Autors fand die ausverkaufte Lesung in seinem Privathaus in Göbelsbach statt.

Um dem, auch wegen der emotionalen Nähe herausforderndem Thema näher zu kommen, beschäftigte sich der Autor sowohl mit einschlägiger Literatur über den Nationalsozialismus als auch anderen "Vaterbüchern". Ausdrücklich wehrt er sich dabei gegen anmaßende Überheblichkeit und mahnt zur kritischen Distanz der Nachgeborenen mit der politischen Vergangenheit der Eltern, indem er Bazon Brock zitiert: "Kein Faschist ist nur, wer von sich weiß, dass er durchaus einer sein könnte."

So untersucht Prütting die Herrschaft des Nationalsozialismus und das Prinzip der charismatischen Führung nicht aus der Sicht des "Führers", sondern explizit aus der Sicht der "Geführten". Dabei greift er auf eine Maxime zurück, die ihm auch aus seiner Theaterarbeit bekannt ist: "Den König spielen die Anderen." Wirkungsmächtig werden demnach die "Führer" nicht nur durch sich selbst, sondern auch durch die Reaktion der Umgebung.

Als theoretisches Fundament, von dem aus er versucht, das Leben seines Vaters zu verstehen, arbeitet er bestimmte Faktoren heraus, auf denen das NS-System beziehungsweise charismatische Herrschaft insgesamt beruht. So kommt er zu dem Urteil, dass sein Vater Michael Prütting dazu beigetragen habe, "den Führer zu spielen" und sieht ihn damit nicht als wehrloses Opfer eines Verführten, sondern als willigen Täter. Entsprechend könne er ihn auch nicht aus der Verantwortung für sein damaliges Verhalten entlassen.

Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen zeichnet Lenz Prütting den Lebensweg seines Vaters nach, zitiert aus Feldpost und Tagebucheintragungen und ordnet diese ein. Etwas unschlüssig zurück bleibt Lenz Prütting angesichts der letzten Tagebucheintragungen. In diesen scheint das zuvor zementierte Weltbild Risse zu bekommen und in diesen werden auch Todesahnungen formuliert.

Sehr persönlich schließt Lenz Prütting mit den Worten: " Und so stehe ich am Ende dieser Vatersuche in tiefer Ratlosigkeit da und muss mir eingestehen, dass ich den Vater, den ich finden wollte, nicht gefunden habe, und dass der, den ich gefunden habe, mir fremd geblieben ist." Erscheinen wird das Buch voraussichtlich im Frühherbst 2018 im Herder-Verlag.