Neuburg
Eine Rückschau in zwei Sprachen

Ausstellung über das Schicksal der Seliger Gemeinde

10.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:17 Uhr

Trotz relativ langer Eröffnungsreden waren Helmut Eikam (3.v.l.) und Karl Garscha (4.v.l.) auch nach dem offiziellen Teil der Vernissage gefragte Gesprächspartner von Ausstellungsbesuchern, die weitere Fragen hatten. - Foto: Hammerl

Neuburg (ahl) Den linken Teil des Foyers im Landratsamt nimmt standesgemäß die neu eröffnete Ausstellung der Seliger Gemeinde ein. 43 Tafeln erläutern die bewegende Geschichte der Sudetendeutschen Sozialdemokraten, die zeitweise die Geschicke der Ersten Tschechoslowakischen Republik mitbestimmten, im Dritten Reich Widerstand leisteten, verfolgt und verhaftet wurden, in Konzentrationslagern litten und dennoch – sofern sie es überlebten – anschließend vertrieben wurden.

DSAP (Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei) hieß die 1919 im tschechischen Teplitz gegründete Partei, deren Nachfolgeorganisation die 1951 im oberbayrischen Brannenburg aus der Taufe gehobene Seliger Gemeinde ist, benannt nach dem ersten Vorsitzenden der DSAP, Josef Seliger.

„Die Ausstellung beschreibt die Partei sowie ihre Traditionen und soll zeigen, dass wir diese Traditionen schätzen und aufrechterhalten“, erklärte Helmut Eikam zur Eröffnung am Dienstagabend vor rund 25 Interessierten. Der Bundesvorsitzende der Seliger Gemeinde wird oft gefragt, „welche Sekte das sei“. Mit Religion habe die Seliger Gemeinde weniger zu tun, antwortet er darauf. Die Arbeiterbewegung Böhmens, Mährens und Schlesiens hat eine lange Tradition, 1863 wurde der erste Arbeiterverein in Asch gegründet – gegen das Verbot des kaiserlichen Statthalters. Vier historische Phasen unterscheidet Eikam, die erste fällt noch in die Zeit der österreichischen Monarchie. Nach dem ersten Weltkrieg gingen tschechische und deutsche Sozialdemokraten getrennte Wege – das war die Geburtsstunde der DSAP, die sich nach verlorenem Kampf um die Selbstbestimmung der Sudetendeutschen mit dem Regime arrangierte und Mitverantwortung übernahm. Acht der zweisprachig in Deutsch und Tschechisch beschrifteten Tafeln sind der dritten Phase, dem Kampf gegen den Nationalsozialismus gewidmet, einer Zeit persönlicher Tragödien, die sogar einfache Ortskassiere trafen – auch sie wurden verhaftet und deportiert, so dass sich die Partei 1938 selbst auflöste, um ihre Mitglieder nicht weiter zu gefährden. Viele emigrierten – nach Schweden, England, Kanada, teils auch Holland, Frankreich und Neuseeland, wo es noch heute aktive Seliger Gemeinden gibt, die untereinander in Verbindung stehen. „Wir wollen tun, was notwendig ist, um wieder vernünftige Beziehungen herzustellen“, nannte Eikam als Ziel des Vereins.

Landrat Roland Weigert bezeichnete die Seliger Gemeinde als Brückenbauer, die den europäischen Gedanken pflegten. Er würdigte die Sudetendeutschen als vierten Stamm Bayerns, der „mit nichts als einem Rucksack gekommen, über Nacht viel geschaffen und eine wesentliche Rolle beim Aufbau Deutschlands, vor allem Bayerns gespielt“ hätte.

Entstanden ist die beeindruckende Ausstellung aus einer Zukunftswerkstatt, wie Karl Garscha aus Bruckmühl, Mitglied des Bundesvorstands, erzählte. Er tourt mit der Ausstellung, die im Herbst vergangenen Jahres in Schrobenhausen zu sehen war, durch die Lande und berichtete den Vernissagebesuchern weitere Details wie die Exilbedingungen in Kanada, wo die Sudetendeutschen im westlichen Kanada Pionierarbeit leisten mussten, obwohl Kanada sich die Einreise teuer bezahlen ließ, was überwiegend aus einem britischen Sozialfonds bezahlt wurde. In der DDR wurden die Sudetendeutschen „Umsiedler“ genannt und durften sich nicht organisieren, sodass ihre Geschichte „zehn Jahre später vergessen war“. Eine Tafel widmet sich Jiri Paoubek, dem einzigen tschechischen Staatsmann, der sich je für das Unrecht entschuldigt hat, das den Widerstand leistenden Sudetendeutschen mit der Vertreibung widerfahren war.

Die Ausstellung ist noch bis 25. April während der normalen Öffnungszeiten im Foyer des Landratsamtes zu besichtigen.