Pfaffenhofen - Mit einem integrierten Mobilitätskonzept könnte der ÖPNV im Landkreis Pfaffenhofen sich komplett wandeln. Angedacht ist sogar ein engmaschiges Netz mit Stundentakt.
Pfaffenhofen - Mal abgesehen von den Bahnlinien und dem kostenlosen Pfaffenhofener Stadtbus als Leuchtturmprojekt sowie einigen mehr oder weniger gut funktionierenden Busverbindungen hoch im Norden oder tief im Süden führt der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) im Landkreis Pfaffenhofen ein ziemliches Schattendasein. Doch jetzt scheinen Landrat Albert Gürtner (FW), der mit dem integrierten Mobilitätskonzept an die Vorarbeit seines Vorgängers Martin Wolf (CSU) anknüpft, und die Bürgermeister tatsächlich Ernst zu machen. Sie lassen sich einen detailliertes Plan erstellen, der 235000 Euro kosten wird und einen Weg aufzeigt, wie im ganzen Landkreis ein engmaschiges Busnetz mit Ein-Stunden-Takt geschaffen werden kann. Das verbleibende Fünftel der Bürger könnte mit Hilfe von fünf Rufbussen ebenfalls an den ÖPNV angebunden werden, sodass der Landkreis keine "weißen Flecken" mehr aufweisen würde.
An die Arbeit haben sich mit Stephan Kroll und Felix Berschin zwei Spezialisten der Nahverkehrsberatung Südwest mit Sitz in Heidelberg gemacht, die in einem ersten Schritt am Montag im Kreisausschuss beachtliche Ergebnisse präsentierten. Ihre bisherige Arbeit umfasste zum einen eine Machbarkeitsstudie, ob sich der Schülerverkehr in allen 19 Gemeinden in den ÖPNV integrieren lässt - und eine Analyse der Verkehrsströme im ganzen Landkreis mittels sogenannter Teralytics-Daten, die über Mobilfunknetze gewonnen werden. Was das Fachbüro daraus ableiten kann, ist fast schon revolutionär. Am Status quo ließ Kroll kaum ein gutes Wort. "Gelinde gesagt: Da ist viel Luft nach oben", lautete noch eine seiner gnädigeren Aussagen. Er sprach davon, dass aus den Dörfern und Weilern im Landkreis "wohl kein einziges Kind mit dem ÖPNV zur Schule fährt", und dass er und seine Mitarbeiter "unzählige große Karten mit sehr viel weißer Fläche" produziert hätten. Der Landkreis und seine Gemeinden würden, jede für sich, sehr viel Geld für Schulbusse ausgeben - aber dafür kräftig beim ÖPNV sparen.
Und so stellten Kroll und Berschin die Grundsatzfrage: "Sollen wir uns die Schülerbeförderung genauer anschauen?" Die Antwort hatten sie schon vorab bekommen. Bei einer Besprechung einigten sich die Bürgermeister darauf, dieses gewaltige Thema mittels einer gemeinsamen Kraftanstrengung anzugehen. "Also haben wir uns entschieden, jetzt einfach mal kräftig zu klotzen", fuhr Kroll fort. "80 Prozent der Bürger bekommen einen Bus, der im Stundentakt fährt - und der Rest kriegt einen Rufbus."
Auf der nächsten Karte, die Berschin präsentieren durfte, waren dann plötzlich sehr wenig Weißflächen, aber dafür eine Vielzahl von bunten Linien zu sehen (siehe Grafik). Dabei handelt es sich um jene elf Achsen, mit denen die Verkehrsexperten den Landkreis Pfaffenhofen in ein ÖPNV-Paradies verwandeln möchten. Unter anderem führen sie von Wolnzach über Rohrbach und Uttenhofen nach Pfaffenhofen - oder von Vohburg über Ernsgaden nach Geisenfeld. Aber auch Schweitenkirchen wird nach Freising angebunden - und Manching nach Ingolstadt. "So kommt man von Geisenfeld oder Wolnzach zum Bahnhof nach Rohrbach - und generell auf öffentlichem Weg im Landkreis so gut wie überall hin", so Berschin. Er sprach von einer Vervierfachung der gegenwärtigen Anbindungen. Und konnte dem aktuellen Stand ebenfalls nichts abgewinnen. "Meines Erachtens ist das kein Angebot", sagte er. Jede Gemeinde würde für sich selbst vor sich hin wursteln. Die Bahn und der Stadtbus seien gut - "der ganze Rest sind alles nur Alibiprojekte".
Wer jetzt denkt, die Umstellung könne sich der Landkreis niemals leisten, täuscht sich. "Aktuell sind bereits 7,8 Millionen Euro im System", sagte Kroll. So viel kosten die bestehenden Busanbindungen und vor allem die vielen Schulbuslinien. "Unser neues Netz wäre gar nicht viel teurer", ergänzte Berschin. "Wir reden da von 8,2 Millionen Euro - und somit nur 400000 Euro mehr als jetzt." Möglich sei die Umstellung allerdings nur, wenn die Gemeinden in den kommenden Monaten "umfangreiche Vorarbeiten" leisten würden. Jede Gemeinde müsse sich mit den Lehrern, Schülern und Eltern auseinandersetzen, um die Schulanfangszeiten geschickt aufeinander abzustimmen. Denn: Ein Bus kann nur an einer Stelle sein. Und somit sei es wichtig, dass ein- und derselbe Bus die Kinder zu mehreren Schulen befördern kann. Heißt unter dem Strich: Die Schulzeiten sind zu staffeln - und das bedeutet Änderungen beim Schulbeginn in diversen Gemeinden. Parallel muss der Landkreis eine Mobilitätszentrale einrichten, von der aus das komplette Busnetz koordiniert wird. An der Umsetzung all dieser Vorarbeiten hängt der Gesamterfolg. "Denn belassen wir das gegenwärtige Schulbussystem, kostet uns die Ausweitung des Angebots zusätzliche fünf Millionen Euro", so Berschin.
Am Landratsamt laufen die ÖPNV-Fäden bei Abteilungsleiter Steffen Kill zusammen, der sich nicht davor scheute, eine Lanze für die beiden Experten zu brechen. "Viele der vorliegenden Fakten haben wir bisher nicht gewusst", sagte er. Und auch wenn man es kaum fassen könne: Diese Herren wüssten jetzt ganz genau, wo jeder Schüler in diesem Landkreis wohne - und wohin er zur Schule gefahren werden müsse.
So war das Echo aus dem Gremium durchwegs positiv. Jens Machold (CSU) kommentierte: "Die Bevölkerung ist mit der Vernetzung nicht zufrieden, und das soll kein Dauerzustand sein." Niemand könne sagen, inwiefern sich das Konzept eins zu eins umsetzen lasse. Aber es sei ein gewaltiger Mehrwert, den Schulbusverkehr in den ÖPNV zu integrieren. "Unsere Aufgabe ist jetzt, die Schulzeiten zu ändern - und den gesellschaftlichen Dialog zu führen." Michael Franken (Bürgerliste) verstärkte das positive Signal, dass die Bürgermeister dem Vorhaben mit auf den Weg gegeben haben. "Das Problem liegt sicher im Detail. Und hier sind alle sehr verwöhnt. Jetzt müssen wir den Eltern sagen, dass ihre Kinder auch mal zehn Minuten auf einen Bus warten müssen." Herbert Nerb (FW) konnte es kaum fassen, dass jetzt etwas angepackt werde, was 20 Jahre lang angeblich unmöglich gewesen sei. Ihm war es wichtig, dass die Schulbusse durch die Umstellung nicht noch voller würden als sie es teilweise ohnehin schon seien.
Ob dieser Wunsch erfüllt werden kann, werden Kroll und Berschin in den kommenden Monaten herausfinden. Ihr integriertes Mobilitätskonzept soll im Herbst 2021 fix und fertig sein. "Mit den ersten Maßnahmen zur Umsetzung sollte im Sommer 2022 gestartet werden", sagte Kroll auf Nachfrage unserer Zeitung. Alles auf einmal gehe dann aber vermutlich nicht. "Vorstellbar ist, in Teilbereichen zu starten - und dann Schritt für Schritt voranzugehen."
Foto: Nahverkehrsberatung
Patrick Ermert
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