Eine "rettende Verwundung"

18.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:39 Uhr

Keine Kriegsbegeisterung: Martin Sedlmeier als junger Soldat.

Pfaffenhofen (PK) "Eine Hurrabegeisterung gab es bei mir nicht", erzählt Martin Sedlmeier, während er auf seiner grauen Wohnzimmercouch sitzt und langsam durch alte Fotoalben blättert. An den Kriegsbeginn im Spätsommer 1939 erinnert sich der frühere Schulrat und Kreisarchivpfleger noch gut.

In den ersten Kriegstagen war Martin Sedlmeier jedoch nicht in Deutschland, sondern in Iglau, einer kleinen deutschen Sprachinsel in Tschechien, und half bei der Ernte und im Stall: "Die haben damals dort gedacht, ich sei fahnenflüchtig." Tatsächlich arbeitete er als Student an der Hochschule für Lehrerausbildung in Pasing freiwillig in dem landwirtschaftlichen Betrieb in Tschechien.

Nach drei Tagen wurde er schließlich doch nach Deutschland zurückgerufen und zum Militärdienst eingezogen. "Ich habe nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde", meint der heute 92-Jährige zum Kriegsausbruch im Herbst 1939. Die Rückfahrt nach Hause sei ein seltsames Gefühl gewesen. Schon damals hatte er leichte Zweifel, ob der Krieg richtig sei. "Hinter vorgehaltener Hand hatte ich auch schon gehört, dass Hitler den Krieg mit Polen provoziert hat." Auch in seiner Familie in Steinsdorf bei Riedenburg, sei keine sonderliche Kriegsbegeisterung zu spüren gewesen. Der erste Mann seiner Mutter fiel im Ersten Weltkrieg. Ihr zweiter Mann, sein Vater, sei ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen, berichtet Sedlmeier. Ein Jahr vor Kriegsbeginn stirbt auch dieser bei einem Unfall. Nun muss die Frau noch ihren Sohn in den Krieg ziehen lassen. "Von Kriegsbegeisterung konnte man bei uns also nicht sprechen", erzählt der 92-Jährige und schaut nachdenklich in das aufgeschlagene Fotoalbum.

Sein Aufenthalt in Tschechien ersparte Sedlmeier jedoch den Polenfeldzug. Er musste allerdings in eine Kaserne nach Döberitz in Brandenburg, um sich auf seinen Einsatz bei den Gebirgsjägern vorzubereiten. "Ich bin dann weit umher gekommen", erinnert sich der 92-Jährige.

Der Krieg führte ihn in die verschiedensten Länder. Zunächst kämpfte er auf dem Balkan, sah das ehemalige Jugoslawien, Albanien und Griechenland. Eine Kriegsverletzung ersparte ihm dann den weiteren Einsatz in Russland. "Das war eine rettende Verwundung", erzählt Sedlmeier. Vor den Russen habe er besonders Angst gehabt, und sei deshalb froh gewesen, wegen seiner Verletzung wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Er konnte nun mitten im Krieg studieren. Martin Sedlmeier möchte später einmal Straßen bauen. "Ich dachte, wenn der Krieg auf dem Balkan aus ist, gehe ich dorthin und baue Wege und Eisenbahnverbindungen." Deshalb studierte er für zwei Semester an der Technischen Universität München, musste dann allerdings bis zum Kriegsende in Südfrankreich seinen Dienst tun: "Frankreich ist ein schönes Land, das hat mir sehr gut gefallen." Dort konnte er auch einer weiteren großen Leidenschaft nachgehen. Sedlmeier ritt gerne und konnte dies auch in Frankreich tun.

Im Sommer 1944 nahmen ihn allerdings die Amerikaner gefangen und brachten ihn in ein Lager in die USA. "Zu viert haben wir da in einer Baracke gewohnt und in der Landwirtschaft geholfen", erzählt Martin Sedlmeier und lächelt dabei. Seine Erinnerungen an das große Amerika sind sehr positiv. Er sei zu jeder Zeit von den Amerikanern sehr gut behandelt worden. Nach seiner Gefangenschaft wäre er fast dort geblieben, versäumte jedoch die richtigen Einreiseformulare einzureichen und kam deshalb 1946 zurück ins Nachkriegsdeutschland. Eine Sache ist ihm auch nach dem Krieg bis heute geblieben: Seine große Liebe zu den Pferden.