... eine märchenhafte Perspektive

28.05.2021 | Stand 31.05.2021, 3:33 Uhr
  −Foto: Auer, Richard, Eichstätt

Öha, sagt der Radlfahrer, als er von Stephansmühle kommend den Weiler Lösmühle durchquert hat: Das Ortsausgangsschild vermeldet in seinem unteren Teil brav, dass ebendiese Lösmühle, mit rotem Farbbalken durchgestrichen, nun hinter ihm liegt.

Aber was mag nun kommen? Der obere Teil des Schildes verkündet es in größter Selbstverständlichkeit, schwarz auf gelb: "Weite Welt".

Das nennt man mal eine Ansage. In Zusammenhang mit einer Mühle klingt sie geradezu märchenhaft. Man denkt an die Gebrüder Grimm - an ihre Bremer Stadtmusikanten oder an ihre Geschichten von bitterarmen Müllersburschen. Da müssen sich die Protagonisten notgedrungen auf Wanderschaft begeben. Und zwar immer "hinaus in die weite Welt" - oder wenigstens in die Hansestadt Bremen. Das Ziel ist in der Märchenwelt verlockend ("etwas Besseres als den Tod finden wir allemal. . . "), der Weg allerdings voller Gefahren und Abenteuer.

Da radelt man dann auch in der banalen Gegenwart gleich mit einer Extraportion Schwung weiter, nur um gleich darauf eine gleichfalls banale Kreuzung der Staatsstraße Hilpoltstein-Eckersmühlen zu erreichen. Wo bitteschön geht's hier in die weite Welt? Rechts oder links? Man wählt Variante drei: auf schmaler Straße geradeaus. Da ist Haimpfarrich angekündigt. Hübsch, aber nicht zwingend ein Ort, der das Versprechen von "Weiter Welt" einlösen würde.

Oder etwa doch? Denn genau dort liegt der Main-Donau-Kanal samt der Schleuse Eckersmühlen: Von hier aus, auf dem Wasserweg, könnte man theoretisch zu allen sieben Weltmeeren gelangen. Doch Seemann, lass das Träumen! Denn mit einem Mal kommt ein Gewitter, es blitzt scharf und donnert heftig. Der Radler rettet sich hasenfüßig mit Müh und Not nach Hilpoltstein. Nix war's mit "Weiter Welt".

Später erfährt er, dass es solche Ortsausgangsschilder im Landkreis öfter gibt. Wenn im oberen Schildteil mangels eindeutigem Ziel nur die amtlich vorgeschriebene Leere herrscht, animiert das die Kreativität von Spaßvögeln. "Weite Welt" ist auf jeden Fall gut. Viel besser als jenes Schild, das Anfang 2018 am Ortsende von Pyras von unbekannten Witzbolden täuschend echt beschriftet wurde. Da wurde als nächste Etappe ein ganz und gar nicht märchenhafter Ort ankündigt: "Saustall 300 m".

Richard Auer