Ingolstadt
Eine Kommune für Mama und Papa

"Auch mal etwas Unkonventionelles wagen": Neuer Verein entwickelt innovative Wohnprojekte

20.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:06 Uhr

Eines von diversen Vorbildern: das Haus Rigoletto der Wohnungsbaugenossenschaft Wagnis in München-Schwabing. Die Wohnungen über dem Café bieten individuell gestaltete Nischen, die von Laubengängen aus zu erreichen sind - Foto: Wohnungsbaugenossenschaft Wagnis eG

Ingolstadt (DK) „Wie wollen wir im Alter wohnen und leben“ Mit dieser Frage beschäftigt sich ein neuer Verein. Sein Ziel ist es, innovative Wohnprojekte zu entwickeln, etwa genossenschaftlich finanzierte Mehrgenerationenhäuser. „Wir sind für jede interessante Idee offen“, sagt Ulrike Hodek, die Vorsitzende.

Eines Tages ist es in den meisten Familien so weit: Die Kinder ziehen aus. Da sitzen sie dann, die ergrauenden Eltern, in ihren Häusern voller leerer Zimmer. Plötzlich herrscht Ruhe. Viele leiden unter dieser Zäsur. Ist ein Vater oder eine Mutter allein, droht später um so mehr Einsamkeit. Deshalb stellen sich die Betroffenen sicher irgendwann die Frage: „Wie will ich im Alter leben“

Es gibt auch außergewöhnliche, aber noch wenig bekannte Optionen, etwa Mehrgenerationenhäuser, Seniorenwohngemeinschaften und ähnliche Varianten des Lebens in einem Kollektiv. Die Palette der möglichen Rechtsformen ist ebenfalls groß: Man kann als Gruppe eine Immobilie kaufen, mieten, sie über eine eigene Genossenschaft finanzieren oder in ein Genossenschaftswohnbauprojekt einsteigen. Reifere Herrschaften haben schon gemeinsam alte Bauernhöfe, verlassene Geschäftshäuser oder denkmalgeschützte Altbauten renoviert und bezogen; gediegen-bürgerliche Kommunen also, wenn man so will.

In der ganzen Republik gibt es dafür interessante Beispiele und Vorbilder. Dazu kommen Möglichkeiten des Austauschs in Wohnanlagen: Car-Sharing, Gemeinschaftsräume, kollektiv genutzte Gärten und ähnliche Foren der Begegnung. Die Mitglieder des im Juli neu eingetragenen gemeinnützigen Ingolstädter Vereins ERIWo-IN (Entwicklung und Realisation von innovativen Wohnprojekten) sind daher oft unterwegs, um sich anzuschauen, wie sie in Zukunft leben könnten.

Die Initiative zur Vereinsgründung ging von Ulrike Hodek aus. Die Stadträtin (Die Linke) ist auch Vorsitzende von ERIWo. „Wir verfolgen nicht ein bestimmtes Projekt“, erklärt sie. „Wir sind offen für alle Modelle und Ideen.“ Der Verein selbst wird keine Genossenschaften gründen. „Wir verstehen uns als Dach, unter dem Interessierte eigene Ideen verwirklichen. Wir helfen, sammeln das Know-how und geben es weiter.“

Eine sehr erkenntnisreiche Exkursion führte die Mitglieder nach München, wo sie das Wohnbaugenossenschaftsprojekt „Wagnis“ begutachteten. Hier entstanden unter anderem neue, Cluster genannte Wohngemeinschaften neben herkömmlichen Wohnungen. Auch eine Künstlerwohngruppe gehört dazu. Eine Erkundungsfahrt ging nach Nürnberg. Dort stellten bereits innovativ Wohnende ihre Projekte vor. „Es gibt da die tollsten Ideen – und die verrücktesten“, erzählt Hodek. Aber warum nicht auch mal etwas Unkonventionelles wagen? „Hauptsache, unser Anliegen kommt endlich voran!“

Eines ist den ERIWo-Mitgliedern sehr wichtig: Es geht nicht nur um wohnen, sondern auch um leben. Das Soziale gehört fest zum Selbstverständnis des Vereins, etwa der in der Satzung verankerte Vorsatz, Menschen mit Behinderungen in die Projekte zu integrieren. Die Förderung von Kindern, Jugendlichen und jungen Familien zählt ebenso zum Vereinszweck. „Ich würde eingehen wie eine Primel, wenn ich mich nicht mehr für andere einsetzen könnte“, sagt Hodek, die auch selbst mit Gleichgesinnten nach einer innovativen Wohnform Ausschau hält. „Und wenn ich später mal körperlich nicht mehr dazu in der Lage bin, für andere da zu sein, möchte ich Menschen um mich haben, die sich um mich kümmern.“ Angst vor Einsamkeit im Alter sei für viele die Motivation, sich über Alternativen für die Jahre jenseits der 60 Gedanken zu machen. „Wir können darüber hinaus jungen Familien Vorzüge bieten.“

Der zweite Vorsitzende Emil Bernet engagiert sich auch deshalb bei ERIWo, weil er mit zehn Mitstreitern eine gemeinsame Heimat sucht; er selbst träumt von einem alten Gärtnereigelände. „Wir bringen Geld mit, aber keine Kinder, denn die sind schon aus dem Haus“, erzählt er schmunzelnd. Es sei nicht ganz leicht, sich auf einen Nenner zu einigen, zumal unter Erwachsenen reiferen Alters; da gingen die Interessen öfter mal auseinander. Aber Bernet reizt die Aufgabe. Er hält den Einsatz des Vereins für dringend geboten: „Denn der gesellschaftliche Wandel ruft nach neuen Ansätzen! Deshalb bringe ich mich gerne ein, um Ideen dafür zu entwickeln, wie wir im Alter leben können. Das ist für mich ein sinnerfülltes Leben.“