Ingolstadt (sic) Der ESV Ingolstadt-Ringsee hat am Samstag in der Paul-Wegmann-Halle mit einer großen Gala sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. Mehr als 200 Aktive – von Zweijährigen bis zu Senioren über 80 – eröffneten die Show mit einer bejubelten Choreografie. Fast alle Abteilungen führten ihre Sportart vor und zelebrierten dabei eine anschauliche wie lehrreiche Reise durch die bewegte Vereinsgeschichte.
Sie werden immer älter. Als Erste stürmen kleine Kinder in die Halle, rennen strahlend in Formation, angefeuert von stampfenden Beats aus den Boxen. Bald mischen sich Dutzende Jugendliche unter die Läufer, schließen sich den Kindern an. Mehr und mehr. Sie rennen und rennen. Inmitten der Halle wird es immer dunkler, denn alle tragen das schwarze Jubiläums-T-Shirt mit der Aufschrift: „100 Jahre ESV“. Die Zuschauer nehmen den Rhythmus auf, klatschen euphorisch im Takt.
Nach und nach strömen erwachsene Sportler in die Halle und fügen sich in die Menge ein, die kurssicher über die Spiel- und Tanzfläche trabt. Als Letzte laufen Grauhaarträger auf. Sie winken ins Publikum. Hier ein junger Athlet in der Lederhose, dort kleine und größere Judoka in Kampfmontur.
Schwarze Hakama-Hosenröcke wirbeln ebenfalls mit, denn Aikido betreiben sie beim ESV auch.
Jetzt erreicht die Massenchoreografie (monatelang geprobt) das Finale des Intros: Die mehr als 200 Aktiven bleiben stehen, wenden sich wohlsortiert und -koordiniert dem Publikum zu. Sie bilden präzise drei riesige Buchstaben: E, S, V. Jubel. Dann gehen sie in die Knie. Springen auf, reißen die Arme hoch. Die Tennis- und Badmintonspieler halten ihre Schläger in die Höhe. Die Jubiläumsshow dauert noch keine zwei Minuten, und die Halle bebt schon.
Im Laufe der Gala gelingt den Sportlern der Balanceakt, 100 Jahre ESV ebenso tempo- wie lehrreich zu zelebrieren, denn die an Umbrüchen, Neubenennungen, Abspaltungen und Fusionen reiche Vereinsgeschichte erzählt auch viel von der Entwicklung des Freizeitsports in Deutschland – und streift dabei immer wieder die Ingolstädter Historie seit 1919. Es wird der sportlichste Festakt in diesem ersten Jahrhundert des ESV.
Heute hat der Eisenbahner-Sportverein Ingolstadt-Ringsee (wie er erst seit 1953 heißt) fast 1800 Mitglieder, davon sind gut die Hälfte Kinder und Jugendliche. Der Tanztrainer Alexander Angermann ist einer der vielen Ehrenamtlichen, die das Vereinsleben am Pulsieren halten – und er moderiert wie ein Profi.
19 der 20 Abteilungen treten in der chronologischen Reihenfolge ihrer Gründung auf und führen ihre Sportart kurz unterhaltsam vor, während Angermann den historischen Kontext erklärt. Einige Abteilungen sind schon lange Geschichte, dafür sind ESV-ler in der jungen Disziplin Floor-Ball „super erfolgreich“, so der Moderator. Sie räumen landesweit Titel ab. Die Judoka kämpfen ebenfalls weit vorne mit: in der zweiten Bundesliga. Die Judoabteilung gibt es schon seit 1966. Damit bewies der ESV nicht das erste Mal seine Aufgeschlossenheit allem Neuen gegenüber: Japanische Sportkunst in einer bayerischen Kleinstadt, da kamen die Kämpfer in Weiß besonders exotisch zur Geltung. Oder Tennis: seit 1934. Damals ein elitärer Sport. Aber nicht so beim Ringseer Arbeiterverein. „Hier waren Männer und Frauen von Anfang an herzlich willkommen“, erzählt Moderator Angermann.
Die Vorstellungen der Abteilungen sind ein Spaß. Die Kegler mimen neun lebende Kegel und lassen sich von einem Kameraden mit einer großen Kugel umnieten. Die Segler ziehen ein Boot in die Halle (in einer Woche dann auch im Wasser, da ist offizielles Ansegeln). Die jungen Tennisspieler schlagen lächelnd Bälle ins Publikum. Die Stockschützen – eher ältere Herren – demonstrieren ihren Präzisionssport zu dem eher jugendlichen Hit „Ice Ice Baby“. Die Faustballer, auch eine Traditionstruppe, spielen zu Altherrenrock: ACDC („Highway to Hell“). Doch sonst prägen vor allem Kinder und Jugendliche das Bild. Denn der 100 Jahre alte ESV ist ein sehr junger Verein.
Nach der Show strömen alle beseelt in den Sonnenschein. „Super war’s!“, heißt es ringsum. Florian „Flocki“ Kaiser hat natürlich der Beitrag der Skifahrer am besten gefallen, denn da hat er mitgewirkt: im Gewand eines Ur-Skifahrers des frühen 20. Jahrhunderts. „Wir wollten auch zeigen: Obwohl jeder für sich fährt, ist es ein Ski-Team!“ Flocki schätzt den ESV, „wegen der vielen Möglichkeiten , die er bietet, und dem Zusammenhalt untereinander“. Anna (19) und Jessica (27), begeisterte Volleyballerinnen, loben abteilungsübergreifend: „Skifahren war witzig, und auch die Tänzer waren alle super!“ Die Sportlerinnen mögen ihren ESV. „Denn er ist wie eine große Familie.“
4:2 UND WEITERE NOTIZEN ZUR JUBILÄUMSGALA DES ESV
Vor allem eines: Geschichte des Vereins, denn das hat es mal weitgehend weggeschwemmt: Wasserrohrbruch im Keller. Einige nette Anekdoten wurden aber mündlich tradiert. Retzer gibt zwei zum Besten: 1930 spielte der V. f. B. Ingolstadt-Ringsee (wie er seinerzeit hieß) gegen den schon damals mächtigen FC Bayern. Als Gag hatten die Ingolstädter ausgeheckt, dass ein Kunstflieger namens Stöhr beim Anpfiff einen Ball über dem Spielfeld abwirft. Aber der Pilot irrte sich in der Zeit und ließ das Leder erst in der 5. Spielminute aus der Maschine fallen. Vielleicht war es der Irritation der Gäste geschildet, so vermutet Retzer, dass es die Ingolstädter schafften, lang ein 5:5 zu halten. Aber gegen Ende schienen sich die Münchner vom Einwurf aus dem Himmel erholt zu haben. Sie siegten mit 7:5.
Im Krieg wurden Turnhalle und Schwimmbad der Ring-seer zerstört. "Es gab 1945 Pläne, eine neue Halle zu bauen", erzählt Retzer. Das Architektenhonorar fiel nachkriegstypisch aus: eine Glühlampe und zwei Paar Bauernwürste. Doch wegen Geldmangels wurde die Halle nicht gebaut, so Retzer (selbst Architekt), und deshalb wechselten auch Glühbirne und Würstl nicht den Besitzer.
Christian Silvester
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