Moosburg
Eine Frage des Rückgrats

Michael Stanglmaier will für Bündnis 90 / Die Grünen in den Bundestag einziehen

12.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:41 Uhr

Moosburg (SZ) Michael Stanglmaier ist Wahlkampfveteran, Naturwissenschaftler, Triathlet und Bundestagsdirektkandidat der Grünen. Der Moosburger gilt als Politiker, der auch zu unbequemen Überzeugungen steht.

Ein Besuch in Stanglmaiers Gartenidyll am Moosburger Stadtrand. Kaffee und Kuchen auf der Terrasse des Stockhauses mit den französischen Balkonen. Es gibt Espresso und Cappuccino. Nicht aus Fair-Trade-Bio-Bohnen, die man beim Vorzeigegrünen vermuten möchte, sondern die bekannte italienische Marke. „Ich bin kein Dogmatiker“, sagt Stanglmaier. „Wenn’s wäre, hätte ich aber auch eine Packung Biokaffee da.“ Da blitzt die Gelassenheit des Politikers durch, der auch im Stadtrat und Kreistag sitzt. Kein Wunder: „Es ist mein fünfter Wahlkampf, bei dem ich als Kandidat meinen Kopf hinhalte.“ Zweimal Bundestag, einmal Landtag, zweimal Bürgermeister. Von Wahlkampf-Routine könne aber keine Rede sein.

Die hat eher Ehefrau Alexandra Becher, die sich heuer weitestgehend raushält. „Früher war ich viel dabei“, erzählt sie. Heute nicht mehr, einer müsse ja bei den Söhnen – zwölf und 14 Jahre alt – sein. „Und die Reden und Vorträge kenne ich schon“, sagt sie lachend. Sie ist schließlich die Testzuhörerin.

Stanglmaier schneidet den Marmorkastenkuchen an. Der stammt von der „Hausbäckerei“, wie er scherzt. Von seiner Mutter. „Sie backt gerne und ist froh, dass wir dankbare Abnehmer sind.“

Der promovierte Chemiker arbeitet seit 16 Jahren in der Krebsforschung und molekularen Medizin, an der Entwicklung von Tumormedikamenten. Aus dem Beruf heraus zieht er manche politische Erkenntnis – etwa zur Gefahr von Dieselabgas und Tabak. „Das Rauchverbot hat mehr Leben gerettet als so manch medizinischer Durchbruch“, sagt Stanglmaier.

Der gebürtige Freisinger hat seine Kindheit im Dorf Hausmehring bei Nandlstadt verbracht. Daher die Liebe zur Natur. Vor ein paar Tagen hat er seinen 50. Geburtstag in den Bergen gefeiert. Mit Besteigung des Guffert in Tirol. Luft zum Atmen im engen Zeitkorsett des Wahlkampfendspurts. Als Bergwanderer erklimmt Stanglmaier sieben oder acht Gipfel im Jahr. Er ist überhaupt sportlich. Als Radler, Läufer, Schwimmer – oder alles zusammen: Er ist Moosburgs Triathlon-Stadtmeister.

Die weitere Leidenschaft Stanglmaiers: Musik. Aber nur das Hören, nicht das Musizieren. Er habe kein Rhythmusgefühl. „Ich konnte schon bei der Bundeswehr nicht im Gleichschritt gehen.“ Stattdessen hat er eine stolze Plattensammlung, 1300 CDs und über 600 Vinylplatten mit fast allem von Elvis, Springsteen, Dylan, Young.

Stanglmaier ist eher der nachdenkliche Typ. Etwa wenn er über Bürgerrechte spricht. „George Orwells ist mit ,1984‘ fast schon harmlos im Vergleich“, sagt Stanglmaier, der 1986 über eine Bürgerinitiative gegen die Volkszählung zu den Grünen kam, mit Blick auf die NSA-Affäre. Dazu kämen immer mehr Überwachung im öffentlichen Raum, Kontrolle auf Schritt und Tritt, nicht zuletzt die Vorratsdatenspeicherung. „Das kann doch nicht Ziel eines Rechtsstaats sein“, mahnt Stanglmaier. „Freiheit hat doch nicht nur damit zu tun, dass ich auf auf der Autobahn so schnell fahren kann, wie ich will.“

Hoch über dem Garten dröhnt ein Flugzeug im Anflug auf den Münchener Flughafen. Er schaut ihm hinterher. „Heute ist es vergleichsweise leise“, sagt er. Am Abend wird er mit anderen Gegnern der dritten Startbahn einen Vortrag zum Thema halten.

Neben den grünen Standardthemen Energiepolitik und Klimaschutz, die Stanglmaier aus dem Effeff beherrscht, umfassen seine Schwerpunkte auch Sozial- und Verkehrspolitik. Oder Europapolitik: „Die Europäische Union ist eine der größten Errungenschaften, die dieser Kontinent je hervorgebracht hat“, sagt der Kandidat. Die Frage sei allerdings wie man die EU ausgestalte. Es dürfe nicht um Bürokratie gehen, sondern um Werte – um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. „Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger“, sagt Stanglmaier.

Dass man mit solchen europapolitischen Forderungen im Wahlkampf derzeit nicht gerade Jubel erntet, ist ihm klar. „Ein Politiker braucht das Rückgrat, seine Überzeugungen zu vertreten, auch wenn sie unpopulär sind“, sagt der Grüne.