Eine Fleißer-Pionierin in Ingolstadt

24.04.2009 | Stand 03.12.2020, 5:00 Uhr

Eine Ägypterin erklärt den Ingolstädtern ihre Fleißer. Am Freitag referierte Shaimaa Ahmed El-Saghir im Scheiner-Gymnasium.

Ingolstadt (DK) Sie studiert in Ägypten deutsche Literaturwissenschaft und schreibt an einer Magisterarbeit über Feminismus im Werk Marieluise Fleißers, die sie verehrt. Shaimaa Ahmed El-Saghir forschte jetzt auf Einladung der Fleißer-Gesellschaft für drei Wochen in Ingolstadt. "Die schönste Zeit meines Lebens!"

Die gute Frau hat es bis nach Ägypten geschafft, leider ist sie dort nicht leicht zu finden. Vier ihrer Werke und eine Biografie lagerten in einem abgelegenen Winkel der Universitätsbibliothek von Al-Mini, aber die Studentin Shaimaa Ahmed El-Saghir begab sich auf die Suche und spürte das Fleißersche Oeuvre auf. Keine 100 Seiten später wurde sie dessen gewahr, einen literarischen Schatz entdeckt zu haben. "Ich war fasziniert!" Von den Motiven, den Figuren, der Sprache, nicht zuletzt von der Biografie der Ingolstädterin, die Shaimaas bisherige Stars der deutschen Literatur – Gottfried Keller, Christa Wolf und Heinrich von Kleist – auf die Plätze verwies.

Zwei Werke beeindrucken die Ägypterin besonders: Der Roman "Eine Zierde für den Verein" und die Komödie "Pioniere in Ingolstadt". Schnell stand für die 23-Jährige fest, mit ihrer Magisterarbeit die noch übersichtliche Literatur der Fleißer- Forschung zu bereichern. Sie wurde bei ihrem Professor Assem Attia Ali Hassan vorstellig. Der war von dem Thema "Zur Rolle der feministischen Literatur am Beispiel von Marieluise Fleißer" sehr angetan; es ist ein Untersuchungsgegenstand, der mithin als Pionierarbeit gelten darf, zumal an einer Universität in der islamischen Welt. Entsprechend euphorisch startete die Studentin die Recherche.

Bald jedoch erfuhr Shaimaa Ahmed El-Saghirs Forschungsdrang eine dezente Beschwernis, denn die Sekundärliteratur ist wie gesagt schnell durchgearbeitet. "Fünf Bücher reichen natürlich nicht für eine Magisterarbeit", erklärt die Studentin. Hilfe gewährte die Fleißer-Gesellschaft in Ingolstadt. Er könne eine Kiste voller Bücher zum Thema nach Ägypten schicken, schrieb der Vorsitzende der Gesellschaft, Prof. Friedrich Kraft, sie könne aber auch nach Ingolstadt ins Fleißer-Archiv kommen. "Herr Kraft hat mich gefragt, ob ich mir dieses Abenteuer zutraue." Die junge Frau zögerte keinen Moment – und das obwohl sie nie im Ausland gewesen ist. Deutsch lernte sie allein an der Universität Al-Mini, acht Jahre lang. Doch sie spricht es perfekt. "Das gab mir in Ingolstadt große Sicherheit."

Und natürlich das Team des Stadtmuseums, des Archivs und der Fleißer-Gesellschaft. "Sie alle haben mich wunderbar unerstützt!" Beatrix Schönewald, die Museumsleiterin, schenkte der Nachwuchswissenschaftlerin, die alle im Haus wie selbstverständlich schlicht Shaimaa nennen, am Freitag zum Abschied einen blauen Panther. Gerührt gestand sie später: "Die Wochen in Ingolstadt waren die schönste Zeit meines Lebens!"

Eines hat die Ägypterin trotz der geballten Fleißer-Begeisterung in ihrem Umfeld doch überrascht: "Ich weiß von Leuten aus Korea, die über sie Bücher schreiben, aber in ihrer Heimatstadt scheint sie nicht allzu bekannt zu sein . . ."

Dabei berge das Gesamtwerk der Autorin, die 1901 in Ingolstadt geboren wurde und dort 1974 starb, immenses wissenschaftlich interessantes Potenzial. "Sie war zwar keine Kämpferin für den Feminismus, aber ihre Texte sind ein Modellfall für weibliches Schreiben." In den "Pionieren" und der "Zierde für den Verein" hat Shaimaa Ahmed en masse spezifisch feministische Motive gefunden: "Die Rolle der Frau in der Gesellschaft, die damaligen sozialen Strukturen, weibliche Gedanken, Sehnsüchte."

Und das alles mit der ehrlich-authentischen Ausdruckskraft, welche die junge Wissenschaftlerin so schätzt. "Fleißer schreibt immer spontan, was sie erlebt hat!" Leider in einer Sprache, die sich Nicht-Deutschen auch bei größter Kompetenz erst nach zähem Übersetzen erschließt. "Sie versucht, den bayerischen Dialekt in der geschriebenen Sprache umzusetzen, das ist schwer zu verstehen." Aber Shaimaa Ahmed El-Saghir rang ausdauernd um jedes Wort – schließlich hat sie sich auch schon durch Goethes "Faust" gequält. Ihre Begeisterung für Marieluise Fleißer beseelte sie Seite für Seite.

Selbstverständlich will die junge Ägypterin bald wiederkommen. "Für meine Doktorarbeit!" Das Thema steht längst fest: Fleißer. "Was sonst"