Ingolstadt
Eine "Blaufrau" schaffte es

02.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:48 Uhr

An der Fräsmaschine fühlt sich Elke Kühn richtig wohl. Die 42-Jährige hat gerade ihre Gesellenprüfung bestanden und will nun den Meisterkurs absolvieren. Ihr erster Beruf war Einzelhandelskauffrau. - Foto: Rössle

Ingolstadt (smr) Vor zwei Jahren wurde in Ingolstadt das Projekt "Blaufrau" aus der Taufe gehoben, um arbeitslosen Frauen über 40 die gewerblich-technische Berufe schmackhaft zu machen und so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Das ehrgeizige Vorhaben stieß bei der Zielgruppe allerdings auf wenig Begeisterung. Nur eine "Blaufrau" ist bei der Stange geblieben und hat es geschafft: Elke Kühn aus Baar-Ebenhausen hat nach einer 22-monatigen Umschulung zur Feinmechanikerin mit Fachrichtung Maschinenbau jetzt ihre Gesellenprüfung bestanden. "Nun will ich es wissen", sagt die 42-Jährige, die sich für den Meisterkurs angemeldet hat. Für sie steht fest: "Ins Büro geh’ ich nicht mehr zurück - nicht für alles Geld der Welt."

Als gelernte Einzelhandelskauffrau hat Elke Kühn 20 Jahre lang im Büro gearbeitet. "Dabei wollte ich schon gleich nach meinem Quali Kfz-Mechanikerin oder Schreinerin werden. Doch das war damals für Mädchen tabu." Als sie jedoch 2008 arbeitslos wurde, kamen die Jugendträume wieder in Erinnerung, und Elke Kühn liebäugelte mit dem Gedanken, noch einmal etwas ganz Neues anzufangen. Da kam das Projekt "Blaufrau" vom Verein Pro Beschäftigung gerade recht. "Als meine Betreuerin vorschlug, eine Umschulung zur Feinmechanikerin zu machen, da hab’ ich allerdings erst einmal geschluckt: Ich hatte schlagartig den Geruch von Metall, Öl und Schmiermitteln von der Werkstatt meines Großvaters in der Nase, vor dem ich mich als Kind immer geekelt hatte. Heute liebe ich ihn und schnauf’ sofort tief ein, wenn ich in eine Werkstatt komme."

Elke Kühn machte Nägel mit Köpfen und erlernte in der Ausbildungsstätte des Verbands deutscher Eisenbahn-Fachschulen an der Münchener Straße den Beruf des Feinmechanikers. "Wir waren zunächst zwei Frauen, aber die Kollegin warf nach einem Dreivierteljahr Jahr das Handtuch. Es war im ersten Moment schon komisch, die einzige Frau unter lauter Männern zu sein. Ich war zudem eine der Ältesten." Aber die Vorbehalte waren unbegründet, und schon bald hatte Elke Kühn ihren Spitznamen weg: Die Mitschüler nannten sie schon bald liebevoll Mutti.

Die Umschulung war eine große Herausforderung: "Der Beruf ist verdammt schwer – das darf man nicht mit einem Häkelkurs verwechseln. Man benötigt mathematisch-technisches Verständnis. Ohne Lernen wäre ich mit Pauken und Trompeten durchgefallen." Drehzahlen, Schnittgeschwindigkeiten, Winkelfunktionen, Hebelgesetze, gestreckte Längen und dazu die ganze Werkstoffkunde – Elke Kühn musste richtig büffeln. "Ohne die Nachhilfestunden bei Freunden und Bekannte hätte das nicht funktioniert."

Mit der Note 3 hat die 42-jährige ihre Gesellenprüfung bestanden. "Mein Traum war zwar ein Zweier, aber ich hab’ mein Möglichstes getan und bin relativ stolz." Doch schon strebt die Feinmechanikerin nach Höherem: "Ich möchte weitermachen, weil ich großes Interesse an dem Beruf habe." Der Meisterkurs wird allerdings rund 15 000 Euro kosten. Als ungerecht empfindet es die Frau, dass die Arbeitsagentur sie dabei nicht weiter unterstützen will: "Nicht einmal einen Teil des Meisterkurses, den technischen Fachwirt, wollen sie bezahlen. Dabei ist dieser eine Kurs über den Bildungsgutschein förderfähig. Aber angeblich nicht in meinem Fall, denn ich müsste mich erst arbeitslos melden und dann einen neuen Arbeitsplatz finden, wo der Meister Bedingung für die Einstellung wäre. Allerdings dürfte es sonst kein Jobangebot für mich geben. Notfalls müsste ich sogar zurück ins Büro."

Das kann sich Elke Kühn nicht mehr vorstellen. "Lieber mach’ ich mich mit einer ausrangierten Fräsmaschine selbstständig. Einen Kugelschreiber fass’ ich nur noch an, um einen Auftragsschein oder Rechnungen zu unterschreiben." Mit 42 Jahren sind also die Gene des Großvaters voll durchgekommen: "Der war Maschinenbau-Ingenieur und hatte im Rheinland eine eigene Firma, in der sogar einmal ein Teil für das Raumschiff Ariane gebaut wurde", erzählt Elke Kühn stolz.