Eichstätt
Eine Autorin über Freiheit und Frieden

Die Deutsch-Iranerin Mehrnousch Zaeri-Esfahani hat ihren "Rucksack" wieder

08.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:54 Uhr
Als Meisterin der Erzählkunst präsentierte sich die deutsch-iranische Schriftstellerin Mehrnousch Zaeri-Esfahani im "Gutmann". Lebendig berichtete sie von der Flucht ihrer Familie aus dem Iran und dem Start in ein neues Leben in Deutschland. −Foto: Kusche

Eichstätt (EK) Sie benötigte nur ein Mikrophon; ihre beiden preisgekrönten Bücher "Das Mondmädchen" und "33 Bogen und ein Teehaus" nahm sie nur für eine kurze Anekdote zur Hand. Schriftstellerin Mehrnousch Zaeri-Esfahani zieht das Publikum mit ihrer Erzählkunst in den Bann. Dieses Talent stellte sie am Mittwochabend rund 90 Minuten im "Gutmann" unter Beweis.

Auf Einladung des Referats Flüchtlingshilfe der Malteser sowie des Diözesanbildungswerks erzählte die im Iran geborene Schriftstellerin Zaeri-Esfahani ganz nach persischer Tradition von der Flucht mit ihrer Familie aus dem Iran und ihrem neuen Leben in Deutschland. Am Vormittag war sie auch am Willibald-Gymnasium sowie in der Maria-Ward-Realschule zu Gast.

"Ich bin Pilgerin aus Isfahan, und mein Pilgerweg war es, Freiheit und Frieden zu finden." Mit diesen Worten endet Zaeri-Esfahanis autobiographisches Buch "33 Bogen und ein Teehaus", zugleich Titel ihres Erzählabends im "Gutmann". Der autobiographische Roman der Sozialpädagogin, Referentin und inzwischen mehrfach ausgezeichneten Schriftstellerin erzählt vom unfreiwilligen Beginn dieser Pilgerreise. 1985, Mehrnousch war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt, verließ die sechsköpfige Familie Zaeri-Esfahani den Iran, als sich der vermeintliche Heilsbringer Ayatollah Chomeini bereits in eine blutrünstige Diktator verwandelt hatte und im Iran kein Leben ohne Angst und Unterdrückung mehr möglich war. Die Flucht führte sie über viele Monate in die Türkei, dann über die damalige DDR nach Westdeutschland. Nach Aufenthalten in verschiedenen Flüchtlingsheimen in Berlin und Karlsruhe fand die Familie schließlich in Heidelberg ein neues Zuhause.

Es ist eine ganz persönliche Geschichte, die Zaeri-Esfahani ihren Zuhörern in bester persischer Tradition - mal sehr ernst, dann wieder fröhlich lachend oder witzelnd - auf der Bühne erzählt. Und doch, so betonte die Schriftstellerin, repräsentieren ihre individuellen Erfahrungen auch das kollektive Erleben vieler Iraner, die nach der Revolution ihre Heimat verlassen mussten. Wie bei allen Flüchtlingen, die über Nacht ihr Zuhause zurückließen, steckt auch Zaeri-Esfahanis Familiengeschichte voller Erfahrungen der Angst, Entwürdigung, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, vor allem aber voller Mut und Bereitschaft, sich auf das Neue und oft so schwer Verständliche einzulassen: "Es war ein unglaublich steiniger Weg, den mein Vater Hosein und meine Mutter Mehri mit uns vier Kindern beschreiten mussten, bis wir wieder das erleben konnten, was wir am meisten ersehnten: ein ganz normales Leben."

Dieses nahm, so erzählte Zaeri-Esfahani sehr emotional, erst im April 1986 in Heidelberg wieder seinen Lauf, als alle vier Kinder nach über 14 Monaten eingeschult wurden. Doch der Weg in das neue "normale Leben" gestaltete sich nicht leicht: Während Vater Hosein in ungeheurem Tempo in das neue Leben in Deutschland stürmte, die Kinder sprachlich und schulisch förderte und auf diese Weise den Integrationsprozess in Deutschland so schnell wie möglich voranbringen wollte, sei Mutter Mehri nicht bereit gewesen, ihre iranische Vergangenheit einfach hinter sich zu lassen und sich einzig der Eingewöhnung in die neue Heimat zu widmen: "Unser Vater hat uns Kindern in einer enormen Geschwindigkeit unsere iranischen "Rucksäcke" ablegen lassen", erinnerte sich Zaeri-Esfahani nicht ohne gewisse Melancholie in der Stimme. Das sei gut gemeint gewesen, doch genau diese "Rucksäcke" seien es, die jeder Mensch, der seine Heimat verlassen müsse, so dringend benötige, um sich in ein neues Land wirklich integrieren - und nicht nur assimilieren - zu können.

Das Fehlen ihres "Rucksackes" aus dem Iran - gefüllt mit den Erinnerungen an Musik, Essen, Gerüchen, Tanz, Traditionen, Werten und Religion, blieb daher auch bei Schriftstellerin Zaeri-Esfahani nicht ohne Konsequenzen. Verheiratet und mit drei Kindern, als Sozialarbeiterin erfolgreich tätig, habe sie nach vielen Jahren in Deutschland plötzlich ein Zustand der Erschöpfung und Depression erfasst: "Ich merkte, dass ich mir meinen iranischen "Rucksack" wiederholen musste," erklärte die Autorin, die daraufhin zwei Jahre in mühsamer Kleinarbeit alle Erinnerungen der Familie aus dem Iran zusammentrug und schließlich begann, diese in Büchern zu verarbeiten. "Das war wie eine Heilung!", lachte Zaeri-Esfahani. Seit der Veröffentlichung ihrer beiden Bücher 2016 ist die Deutsch-Iranerin als freie Autorin und Referentin tätig.

Im "Gutmann" gelang es der Schriftstellerin in faszinierender Weise, in ihrer bildhaft-poetischen Sprache traurige und lustige Kindheitserinnerungen wiederzugeben oder sich liebevoll-ironisch an Familienerlebnisse zurückzuerinnern. Doch über das persönliche Erleben hinaus betonte sie immer auch die soziale Dimension ihrer Flucht- und Integrationserfahrung. So verwies sie auf den kanadischen Psychologen und Migrationsforscher John W. Berry, der eine echte Integration nur dann für gelungen betrachtet, wenn der Flüchtling "seinen Rucksack" aus der Heimat aufbehalten dürfe, mit dem er in seinem neuen Umfeld allerdings nur entsprechend langsam vorankomme: "Integration ist ein sehr langer Prozess, der sich über zwei Generationen erstreckt", so weiß Zaeri-Esfahani heute aus eigener Erfahrung. Für diesen Prozess erfordere es viel Zeit und Unterstützung, ergänzte die viele Jahre in der Flüchtlingshilfe tätige Autorin. "Unsere Familie, auch meine Mutter, hat inzwischen nicht nur die Freiheit, sondern auch ihren Frieden gefunden", sagte sie abschließend. Doch dazu brauchte es nicht weniger als 30 Jahre.

Dagmar Kusche