Ingolstadt
Eine Angelegenheit des Herzens

26.09.2011 | Stand 03.12.2020, 2:22 Uhr

Ingolstadt (DK) Wer sich bereiterklärt, nach seinem Tod Organe zu spenden, kann bis zu sieben Menschen das Leben retten. Allerdings nur, wenn er seine Bereitschaft zur Spende ausdrücklich dokumentiert. Ingolstädter Experten befürworten deswegen eine andere Regelung der Organspende.

Dass die Organspendeausweise in der Apotheke von Günther Hautmann rasenden Absatz finden, kann man nicht gerade behaupten. „In der Woche wird vielleicht einer mitgenommen“, sagt er. „Außer wenn das Thema in den Medien ist. Dann haben wir schon etwas mehr Nachfrage.“ In den nächsten Tagen könnte es sein, dass Hautmann und seine Kollegen den Stapel auf dem Tresen auffüllen müssen. Grund ist der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr (FDP), der angeregt hat, die Krankenkassen sollten ihre Mitglieder nach ihrer Bereitschaft zur Organspende befragen. Das könnte im Zuge der Ausgabe der neuen elektronischen Gesundheitskarte im Oktober geschehen. „Logistisch könnten wir das auf jeden Fall schaffen“, versichert Gerhard Fuchs, Vorstandsvorsitzender der Audi BKK. Das gilt auch für die AOK, wie Sprecherin Sabine Hunner versichert. Man sei ohnehin im ständigen Kontakt mit den Versicherten. Ob die Befragung allerdings sinnvoll ist, ist eine andere Frage.

Angelika Grünes ist Transplantationsbeauftragte am Klinikum Ingolstadt. Die Ärztin sieht Bahrs Vorschlag eher skeptisch. Wer gezwungen wird, sich spontan für oder gegen eine Organspende auszusprechen, wird aus Unsicherheit eher „nein“ sagen, vermutet sie. Vor allem, wenn diese Entscheidung nicht so einfach revidiert werden kann. Derzeit kann sich jeder einen Organspendeausweis im Internet herunterladen oder in einer Apotheke abholen und selbst ausfüllen. Wer seine Meinung ändert, wirft den Ausweis einfach weg.

Eine zentrale Erfassung der potenziellen Spender gibt es nicht. Deswegen ist es schwierig, die Zahl der potenziellen Organspender in Deutschland zu schätzen. Laut einer Umfrage aus dem vergangenen Jahr dürfte es ein Viertel aller Deutschen sein. Allerdings finden deutlich mehr, nämlich rund 80 Prozent der Bundesbürger, dass die Organspende eine gute Sache ist. Grünes, Hunner, Fuchs und Hautmann sprechen sich deswegen unabhängig voneinander für die so genannte „erweiterte Widerspruchslösung“ aus. Das heißt, dass nicht diejenigen, die sich zur Organspende im Todesfall bereiterklären, einen Ausweis dabei haben, sondern jene, die eine Spende ablehnen. Die Zahl der potenziellen Spender stiege dadurch sofort deutlich an. Genauso ist die Organspende bereits in den meisten europäischen Staaten geregelt.

Der Bedarf an Spenderorganen ist groß. 12 000 Deutsche warten derzeit auf ein Herz, eine Niere, Lunge oder Leber. „Pro Tag sterben hierzulande drei Menschen, die ein neues Spenderorgan gebraucht hätten“, sagt Grünes. Am Klinikum Ingolstadt sind in diesem Jahr bereits vier Organe entnommen worden. „Dies geschieht nur, wenn der Hirntod eines Patienten zweifelsfrei festgestellt worden ist“, erklärt Grünes. Ist der Wille des Verstorbenen nicht klar, müssen die Ärzte die Angehörigen fragen. Für alle Beteiligten eine schwierige Situation, denn die Entscheidung muss schnell fallen, um das Organ möglichst bald zu seinem Empfänger zu transportieren. „Da geht es um Stunden“, so Grünes. Ein Organspendeausweis ist im Falle eines Falles deswegen nicht nur ein Lebensretter, sondern auch eine deutliche Entlastung der Hinterbliebenen.