Weißenburg
Ein "zweites Standbein" für den Tod

Umjubelter "Fränkischer Jedermoo" – Premiere für Weißenburgs Rathausinnenhof als Freiluftbühne

05.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:57 Uhr

Das Spiel ist fast vorbei: Jedermoo hat nur eine Stunde Zeit, sich auf den Tod vorzubereiten. - Foto: Leykamm

Weißenburg (lkm) Der „Brandner Kasper“ und sein schauriges Spiel mit dem Tod bekommen in der Römerstadt Konkurrenz. Nicht im Bergwaldtheater, sondern im Herzen Weißenburgs. Genauer gesagt im Innenhof des Rathausensembles, der nun seine Premiere als Standort für das „Theater am Markt“ gefeiert hat – mit dem vielumjubelten „Fränkischen Jedermoo“ von Fitzgerald Kusz.

Der Hof erweist sich dabei als ideale Spielfläche, noch dazu mit einer überraschend guten Akustik, die großzügige Treppe kann zudem als Erweiterung der selbst gezimmerten Bühne genutzt werden. Hier läuft keiner mehr mitten durch die Szenerie, was dem Marktplatz als ursprünglichem Ort der Veranstaltungsreihe seinen Posten kostete. Am neuen Areal will man nun bleiben – und das auch mit dem gleichen Stück. „Jedermoo“ soll es hier jetzt des Öfteren zu sehen geben: Das nächste Mal gleich am Freitag, 7. August, um 20 Uhr, so zumindest die Intention von Thomas Hausner, dem Leiter der Luna-Bühne, die hinter der Inszenierung steckt. Die Umsetzung kostete nicht nur schauspielerische, sondern auch handwerkliche Energie. Um für Authentizität im Stück zu sorgen, nahm man die Trachtenberatung des Bezirks in Anspruch, Nähkurse wurden absolviert und schließlich griffen die Darsteller unter der Ägide von Ingrid Schebitz selbst zu Nadel und Faden.

Es hat sich gelohnt – zumindest lässt die Reaktion des Publikums darauf hindeuten. Nach der Premiere gibt es stehende Ovationen der knapp 180 Besucher. Um was es in dem Stück geht, wird dem Publikum zu Beginn recht intuitiv vermittelt. Jeder kann sich in dem Stück wiederfinden, jeder muss einmal sterben und jeder tut gut daran, die Zeit davor auf die feine Stimme des Herzens zu hören. So wie eben Jedermoo (Stephan Hausner), der aber zunächst eher der Stimme des Geldes folgt. Das kann nicht gutgehen, wie dem Publikum zum Start mehr als deutlich gemacht wird.

Denn da stapft ein zorniger Gott (Matthias Böhner) durch die Reihen des Publikums und macht seinem Ärger über die Menschen Luft: „Däi machen sich gegenseidich hie, wenns a su weida machen!“ Man sieht förmlich Jesus vor sich, wie er die Geldwechsler aus dem Tempel treibt. Der Herr ist wütend und zetert weiter. „Gar nimmer lang rumdou und glei mim jingstn Gricht ofanga“, lautet erst sein Ansinnen, doch dann will er nur einen vor Gericht sehen – ausgerechnet Jedermoo, dessen der Deifl (Harald Nißlein) sich schon sicher wähnt. Der reiche Franke weiß davon nichts und ergötzt sich lieber der Pläne für ein Gartenschloss, das er errichten lasse will. Sich des armen Nachbarn erbarmen, kommt ihm nicht in den Sinn und auch die arme Alleinerziehende (Franziska Hüttmeyer) reut ihn nicht. Sie muss ins Gefängnis, weil sie einen Kredit nicht bezahlen kann, den er ihr gewährte – wissend, dass es genau so enden würde.

Genüsslich wird in dem Stück aus schwarz weiß gemacht. Der Nachbar (Rainer Scheibe) soll sich „schammer“, weil er den großen Jedermoo anbettelt. Und eine Welt, in der schriftliche Verträge nichts mehr gelten, sei doch wohl keine erstrebenswerte, reibt er der Schuldnerin genüsslich unter die Nase. Bevor er gnädigerweise einen Schuppen in seinem Anwesen für deren Kinder freiräumen lässt, denn „däi kenner ja nix dafür . . .“

Schon erscheint seine eigene Mutter (Beate Ziegler) auf der Bühne, was Jedermoo aber keine Einsicht abnötigt. Im Gegenteil: Er will sie loswerden und gibt vor, sich nur um ihre Gesundheit zu sorgen. In den hier präsentierten Denkmustern finden die Gäste nicht nur viele bekannte Argumente aus dem heutigen Zeitgeschehen, sondern wohl auch eigene Ausreden wieder. Wenn etwa der reiche Franke den Bittstellern vorrechnet, was sein Reich ihn so alles kostet und dass er nicht jedem Doldi etwas geben könne, weil er sonst selbst nichts mehr habe, ruft das so manche Assoziation an aktuelle Themen hervor.

Den Partyhengst juckt das wenig, bis ihn mitten im Feiern jemand garstig ruft, den er auch vor den Toren zu sehen meint. „Da schleicht doch anner rum!“ brüllt der Jedermoo, spitzt aus dem Innenhof – und erblickt tatsächlich einen neugierigen Zaungast, der schnell das Weite sucht. Eine unbeabsichtigte Situationskomik, deren Pointe umso besser trifft. Der, der dann wirklich erscheint, ist natürlich der Tod (Thomas Hausner), der dem Lebemann seinen verhängnisvollen Irrtum aufzeigt. Eine Stunde Frist nur gibt es und in der brechen alle falsche Sicherheiten weg: Sein „Freind“ (Kevin Berns) will zwar auf sein Geld und seine „Herzala“ (Nina Gerbig und Diana Sturm) aufpassen, verweigert ihm aber das Geleit, wie auch seine Verwandten. Auch der geliebte Mammon (Pia Oßwald) lässt ihn in Stich. Das eigene Gewissen (Brigitte Brunner) nur bietet Geleit an. Es verweist aber auf seine Schwester, den Glauben (Anja Tiede). Nämlich den an den stellvertretenden Opfertod Jesu, der „für Jedermoo gschdorm ist“.

Der wiederum ergreift den Strohhalm und tritt seine letzte Reise an – in den Himmel. Während der Deifl sich um den Lohn gebracht sieht und sich fragt, wo denn da die Gerechtigkeit bleibt. Am Ende darf aufgeatmet werden, dass die Gnade über sie triumphiert hat. Und es erklingt langer Beifall für alle Darsteller.