Ein Zeichen der Stärke

Kommentar

26.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:54 Uhr

Wie sich eine Gesellschaft ihrer eigenen Vergangenheit erinnert, wie sie sich ihrer Geschichte annimmt und das Gedenken pflegt, sagt viel über ihren Zustand aus - besonders dann, wenn die eigene Geschichte geprägt ist von kaum vorstellbarer Grausamkeit und grenzenloser Brutalität. Und dem Mord an sechs Millionen Juden, an den Sinti und Roma, an Homosexuellen, Behinderten und politischen Gegnern.

Im vergangenen Herbst hat es eine Partei in den deutschen Bundestag geschafft, in deren Reihen Menschen sitzen, die den Holocaust leugnen oder relativieren. Das ist nur sehr schwer zu ertragen. Aber nicht nur in den Parlamenten sitzen Menschen, die mit ihren Aussagen die Opfer von damals verhöhnen. Auch in der Mitte der Gesellschaft scheint Hetze gegen Ausländer - nicht nur im anonymen Internet - wieder salonfähig geworden zu sein. Es gab und gibt zahllose Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte.

Wie wollen wir, die deutsche Gesellschaft, uns in diesen Zeiten an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte erinnern? Soll das Spielfeld denen überlassen werden, die die Vergangenheit hinter sich lassen wollen, die Gedenkveranstaltungen als lästig und unnötig abstempeln oder Orte der Erinnerung als "Mahnmal der Schande" bezeichnen? An Leute, die argumentieren, der Zweite Weltkrieg sei lange her, man müssen endlich die Vergangenheit ruhen lassen und nach vorne schauen?

Nein. Jede Gedenkveranstaltung ist wichtig, jede einzelne Seite im Schulbuch über den Holocaust ist wichtig, jede kulturelle Beschäftigung mit dem Thema ist wichtig. Und jeder Besuch in einem der ehemaligen Konzentrationslager ist wichtig. Dafür braucht es nicht unbedingt ein Gesetz, das alle Bürger verpflichtet. Es sollte aber trotzdem jeder mal dort gewesen sein. Wem beim Anblick der Lager nicht eiskalt ums Herz wird, der ist vermutlich auch zu keiner anderen Gefühlsregung fähig.

Deutschland arbeitet seine Vergangenheit auf. In diesem Punkt sind wir so manchem Land meilenweit voraus. Und das ist ein Vorteil, kein Nachteil. Man erinnere sich nur daran, wie beispielsweise die Türkei mit dem Völkermord an den Armeniern umgeht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist befreiend, und kein Zeichen von Schwäche.

Die Nachkriegs-Generationen haben keine Schuld am Leid, das ihre Vorfahren verursacht haben. Aber sie tragen auch heute noch eine große Verantwortung: die Erinnerung hochzuhalten und aus der Geschichte zu lernen. Gerade in Zeiten wie diesen.