Ingolstadt
Ein unvergesslicher Trip

Ehemalige Boxer des BC Ingolstadt erinnern sich an ihre Erfolgszeiten – und an einen Wettkampf in der DDR

28.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:37 Uhr

Vor dem Flug nach Berlin: 1963 startet eine Staffel des BC Ingolstadt zu zwei Auswärtskämpfen gegen Stahl Riesa. Das Foto zeigt vor dem Abflug in Nürnberg (von rechts oben): Manager Willi Riedl, Richard Köhnlein, Ludwig Dachs, Sebastian Zieglmeier, Josef Fillipini, Klaus Allert (verdeckt), Hans Klasek, Karl Kastenmüller, Michael Mayer, Horst Müller, Valentin Schordie, Ludwig Buchner und Karl-Heinz Zinsmeister. Nicht auf dem Bild zu sehen ist Martin Schuster, der bei der Reise die Fotos machte. - Foto: Schuster

Ingolstadt (PK) Während am 9. November an den Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 gedacht wird, erinnern sich etliche Ex-Boxkämpfer des BC Ingolstadt an einen unvergesslichen Trip. Einige Monate nach dem Mauerbau am 13. August 1961 ging es damals in die DDR.

1963 flog eine starke Ingolstädter Staffel von Nürnberg aus nach West-Berlin, von wo aus sie eine 200 Kilometer lange Busfahrt nach Riesa unternahm, um dort zweimal gegen das Spitzenteam aus Sachsen anzutreten. Stahl Riesa galt damals als Talentschmiede des DDR-Boxsports, viele große Kämpfer haben dort ihre Karriere begonnen. Doch auch in Ingolstadt machten die Faustkämpfer zu dieser Zeit über die Grenzen Bayerns hinaus auf sich aufmerksam. Immerhin schlug sich der BC gegen die fast mit der DDR-Nationalmannschaft identische Staffel sehr achtbar und musste sich zweimal nur knapp geschlagen geben.

In der Freizeit erkundeten die BC-Athleten das geteilte Berlin, verfolgten live, wie die noch nicht vollständig aufgebaute Mauer weiter ausgebaut wurde, oder versuchten, das westdeutsche Box-Idol Gustav „Bubi“ Scholz zu besuchen. Weil der aber gerade irgendwo beim Schwimmen war, zogen sie unverrichteter Dinge von dessen Parfümerie wieder ab – nicht ohne ein paar Erinnerungsfotos geschossen zu haben. Ludwig Dachs, damals einer der BC-Athleten, hat alles archiviert und erinnert sich noch gut an diese Reise: „Wir sind ständig kontrolliert worden, wohlgefühlt habe ich mich dabei nicht.“

Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass die Ingolstädter Faustkämpfer die Massen mobilisiert haben. Zu einem Vergleichskampf gegen eine Londoner Auswahl waren im Jahr 1967 mehr als 2000 Zuschauer in die Donauhalle gekommen. Ähnlich groß war das Interesse schon im Gründungsjahr 1954 gewesen, als der BC unter dem Vorsitzenden Fritz Seissler gegen eine Staffel des US-Infanterieregiments aus Heilbronn ein 9:9 erreichte. Der Vergleichskampf wurde im Salvatorkeller in München organisiert, die Einnahmen wurden für Kriegswaisenkinder gespendet. Die Boxer selbst konnten in der damaligen Zeit nicht reich werden. Fünf D-Mark Startgeld gab es für einen Einsatz. „Doch“, bestätigt Ludwig Dachs, „damals konnte man damit schon etwas anfangen.“

Schon im ersten Jahr seines Bestehens bestritt der BC 14 Vergleichskämpfe, verloren wurde keiner davon. Dabei waren die Voraussetzungen sicher nicht optimal, eine eigene Trainingshalle gab es nicht. Der ESV 1897 Ingolstadt half zunächst aus, stellte seine Turnhalle an einem Trainingstag wöchentlich kostenlos zur Verfügung. Weil das für einen optimalen Trainingsbetrieb nicht ausreichte, behalfen sich die Boxer mit einem zweiten Trainingstag im Schulhof der Pestalozzischule. Die Trainingsgeräte mussten dabei an den Bäumen befestigt werden. Zum ersten offiziellen Kampf am 24. Juli 1954 gegen den BC Heros Regensburg musste man sich den Boxring noch vom Gegner ausleihen, weil das Geld für einen eigenen Ring noch nicht vorhanden war.

Auch wenn die Bedingungen also alles andere als optimal waren, stellten sich schnell die ersten Erfolge ein. Noch im Gründungsjahr wurde Horst Müller Bayerischer Vizemeister im Junior-Halbmittelgewicht. Mit Eduard Harnoth und Ulrich Gerd schafften im folgenden Jahr zwei BCI-Kämpfer die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften.

1960 gab es dann einen Deutschen Meistertitel zu bejubeln – Hans Regner setzte sich bei den nationalen Titelkämpfen im Junior-Halbschwergewicht gegen starke Konkurrenz durch. „Er war der erste und wahrscheinlich bisher einzige Ingolstädter, der sogar in der Wochenschau zu sehen war“, erinnert sich Dachs. Die Wochenschau war damals, als die wenigsten Menschen sich schon einen Fernseher leisten konnten, in den Kinos immer im Vorprogramm eines Films zu sehen und gab einen Rückblick auf wichtige Ereignisse der Vorwoche.

Ins Rampenlicht boxten sich in den folgenden Jahren auch Leute wie Karl Kastenmüller, Dieter Hornung und vor allem Hans Klasek oder Richard Köhnlein. Klasek stand 1972 im vorläufigen Kader für die Olympischen Spiele in München, doch letzten Endes bekam Dieter Kottysch in dieser Gewichtsklasse den Vorzug, der dann als erster deutscher Boxer nach dem Zweiten Weltkrieg eine Goldmedaille erringen konnte. Und Köhnlein hatte sich mit dem Regensburger Schwergewichtler Hans Huber zwei tolle Ringschlachten geliefert, der 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio im Finale mit 2:3-Richterstimmen gegen den späteren, inzwischen verstorbenen Profi-Weltmeister Joe Frazier verloren hatte.

Ihre Auswärtseinsätze hatten die Ingolstädter Boxer nicht nur in der ehemaligen DDR, auch in der Partnerstadt Grasse, in Amsterdam, Basel, Linz und Salzburg gaben die BC-Kämpfer ihre Visitenkarte ab. Dazu kamen weitere sportliche Auseinandersetzungen mit Staffeln aus Belgrad und Istanbul. Viele Freundschaften sind im Laufe der Jahre daraus entstanden, die lange Zeit gepflegt wurden – und werden. Und die die Protagonisten gerne wieder aufleben lassen, wenn sich bestimmte Ereignisse jähren.