Ingolstadt
Ein steiniger Weg

Die Stadt Ingolstadt legt Wert auf Barrierefreiheit – aber es gibt noch viel zu tun

09.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:49 Uhr

Die Stufen am Münstervorplatz ärgern Winfried Glosser am meisten - auch, wenn der Platz mittels Rampen für Gehbehinderte erreichbar ist. Der Rollstuhlfahrer zeigt dem DK, wo es in Sachen Barrierefreiheit in der Stadt noch hakt - Foto: Abels

Ingolstadt (DK) Wie barrierefrei ist Ingolstadt? In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich einiges getan. „Aber es gibt noch viele, viele Baustellen“, sagt Winfried Glosser. Der Ingolstädter ist durch eine Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen – und setzt sich vehement für die Belange der Gehbehinderten ein.

Glosser weiß: Im Vergleich zu den rund 130 000 Einwohnern Ingolstadts ist die Zahl derer, die wie er an den Rollstuhl gebunden sind, gering. Ihre Stimme verhallt deshalb oft ungehört. Der 51-Jährige erfährt täglich am eigenen Leib, was es heißt, wenn eine Stufe, Kante oder ein schlecht abgesenkter Gehsteig eine unüberwindliche Hürde darstellt. Dabei soll Bayern bis 2023 komplett barrierefrei sein.

„Da können Sie eine ganze Serie machen“, schlägt Glosser vor, vom DONAUKURIER nach seinen Erfahrungen als Rollstuhlfahrer in Ingolstadt befragt. Vieles habe sich in den vergangenen Jahren zum Positiven verändert. Das Laufband in der Fußgängerzone zum Beispiel sei eine Erleichterung. Als gelungenes Beispiel nennt der Ingolstädter auch den durch elektronische Türöffner gut zugänglichen Bürgertreff Alte Post. „Doch wenn man dann auf die Straße kommt, gibt es schon Probleme.“ Obwohl der Gehweg abgesenkt wurde, setzt Glosser mit der Fußraste seines Elektrorollstuhls auf. Noch schlimmer verhalte es sich bei der Halle 9. „Die ist barrierefrei. Aber um hinzukommen, müsste ich übers voll brutale Kopfsteinpflaster.“

Doch was ihn in jüngster Zeit am meisten geärgert hat, sind die zwei Stufen, die nach der baulichen Neugestaltung das Münsterumfeld umsäumen. Dass drei Rampen das Liebfrauenmünster für Rollstuhlfahrer und andere gehbehinderte Menschen zugänglich machen, stimmt ihn nur bedingt milder. Für Glosser ist eine solche Planung „in einer Zeit, in der ganz Europa immer mehr barrierefrei wird“, schlicht „eine Katastrophe “.

Auch, wenn er optisch sehr schön geworden sei, einen Platz, der früher barrierefrei war, mit Stufen zu versehen, will Glosser nicht einleuchten. „Überall werden Barrieren abgebaut, hier wurden welche aufgebaut“, empört er sich. „Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, war ich total geschockt.“ Vor dem Umbau habe er den Münstervorplatz von jeder beliebigen Stelle aus mit dem Rollstuhl erreichen können. Jetzt komme er nur über einen Umweg auf den Platz. Auf der Ost-, Süd- und Nordseite gibt es Rampen. Das Gotteshaus selbst ist für Rollstuhlfahrer über das Nordportal erreichbar. Theoretisch. Praktisch bedeute die Türschwelle, an der die Fußraste seines Rollstuhls ansteht, für Glosser die nächste Hürde.

Auch bei den Ingolstädter Jungsozialisten, die unlängst in einem Selbsttest mit dem Rollstuhl erfahren wollten, wie barrierefrei die Stadt ist, steht der Münstervorplatz neben manchen Geschäften auf der Kritikliste ganz oben. „Bei der Umgestaltung wurden zwar barrierefreie Zugänge berücksichtigt, aus unserer Sicht hätte man allerdings ganz auf die optische Aufwertung mit Treppen verzichten können“, stellen die Jusos in einer Presseerklärung fest. Laut Münsterpfarrer Dekan Bernhard Oswald sind die Stufen nur „aus einem einzigen Grund“ angelegt worden: „Dass nicht immer parkende Autos drauffahren.“ Früher, als Straße und Münstervorplatz noch auf einer Ebene waren, seien die Autos kreuz und quer abgestellt worden. Oswald verweist auf die drei Rampen, die das Areal mit Rollstuhl oder Gehwagen zugänglich machen. Bauleiter Martin Spiekermann vom Architektenbüro Burkhardt aus München hatte die gewählte Bauweise bereits vor einem Jahr auf Nachfrage unserer Zeitung als „gute Lösung“ bezeichnet. Man habe sich in Absprache mit der Behindertenbeauftragten der Stadt auf dieses Vorgehen geeinigt, meinte Spiekermann damals.

Der „rote Platz“ am Münster ist freilich nur eine von vielen Stellen, die bei den Jusos auf Kritik stößt. Sie bemängeln etwa, dass „einige Geschäfte in Ingolstadt leider nicht barrierefrei zugänglich sind und von Menschen mit einem Handicap nur mit größter Anstrengung betreten werden können“. Jemand, der im Rollstuhl sitze, könne aus eigener Kraft unmöglich Stufen bezwingen und sei auf Hilfe angewiesen, lautet das Urteil der Jungpolitiker. Sie schlagen vor, die Stadt könne besondere Ansätze wie die Verleihung eines Siegels für barrierefreie Geschäfte schaffen.

Ein solches Siegel, das werbewirksam an den Eingängen der Läden angebracht werden könnte, würde auch Winfried Glosser begrüßen. Seiner Meinung nach sollte die Stadt ein entsprechendes Engagement auch finanziell unterstützen.

Denn zu tun ist in Ingolstadt in Sachen Barrierefreiheit noch einiges. Auch, wenn immer mehr öffentliche Gebäude behindertengerecht gebaut werden: Regenrinnen an den Straßenrändern etwa stellen für Rollstuhlfahrer ein großes Hindernis dar. Auch die Absenkungen von Rad- oder Fußgängerwegen seien oft zu hoch. Auch hier gebe es Ausnahmen. Etwa die Vorwaltnerstraße in Friedrichshofen, wo die Gehwege „auf null abgesenkt“ worden seien. „Genial“, wie Winfried Glosser findet. Er würde sich wünschen, dass die Stadt bei großen Projekten die Rollstuhlfahrer gezielt in die Planung mit einbindet. Gelegenheit dazu wäre etwa bei der Umgestaltung der Fußgängerzone, bei der allerdings ohnehin der Bürgerbeteiligung viel Stellenwert eingeräumt wird.

Die Stadt legt laut deren Sprecher Gerd Treffer großen Wert auf Barrierefreiheit. Auf der Homepage der Tourismus GmbH etwa sind Hotels, Gaststätten und Freizeitangebote aufgelistet, die barrierefrei zugänglich sind.