Hannover
"Ein Spiegelbild der Gesellschaft"

Sportsoziologe Gunter A. Pilz nimmt Stellung zu den Handgreiflichkeiten auf den Fußballplätzen der Region

14.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:41 Uhr

Die Emotionen kochten hoch: Am dritten Spieltag der Kreisklasse Donau/Isar 2 zwischen dem Türkisch SV Pfaffenhofen und SV Hundszell gerieten zwei Pfaffenhofener Spieler (Foto) zunächst selbst aneinander, ehe es zu Rudelbildungen zwischen beiden Mannschaften kam und die Partie abgebrochen werden musste. - Foto: Schneider

Hannover/Ingolstadt (DK) In der Region ist es zuletzt vermehrt zu Handgreiflichkeiten und Spielabbrüchen unter Fußballern gekommen. Es entsteht der Eindruck, dass es auf den Bolzplätzen immer rauer zugeht. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) kann dagegen keinen Anstieg an Gewaltvorfällen verzeichnen. Dies bestätigt auch Sportsoziologe Gunter A. Pilz.

Erst am vergangenen Wochenende musste die Partie in der B-Klasse Donau/Isar 2 zwischen dem FC Mindelstetten II und dem VfB Zandt abgebrochen werden. Mindelstettens Torhüter Frank Elstner brannten nach einer Roten Karte die Sicherungen durch, er drosch den Ball aus kurzer Entfernung gegen Schiedsrichter Udo Vogel. Der Unparteiische des TSV Pförring zog die Konsequenzen und brach die Partie ab.

Auch in der Kreisklasse Donau/Isar 2 endete vor wenigen Wochen die Begegnung zwischen dem Türkisch SV Pfaffenhofen und SV Hundszell vorzeitig, nachdem Spieler aneinandergeraten waren. In der B-Klasse Donau/Isar 4 kam es zwischen dem TSV Rudelzhausen und Vatanspor Freising ebenfalls zu ähnlichen Tumulten, worauf der Schiedsrichter die Mannschaften vorzeitig zum Duschen schickte.

„Jeder Gewaltvorfall ist einer zu viel, aber ein Gewaltproblem hat der DFB definitiv nicht“, sagt Gunter A. Pilz. Der 70-Jährige ist einer der renommiertesten Sportsoziologen in Deutschland, seit 1975 doziert er an der Universität Hannover. Durch seine Tätigkeit beim DFB weiß Pilz seine Aussage auch zu belegen.

Bei 1 139 979 Fußballspielen im Amateurbereich sind es insgesamt 526 Partien, die aufgrund von Gewalttaten abgebrochen werden mussten. „Bei einer Prozentzahl von etwa 0,046 kann man deshalb nicht von einem Gewaltproblem sprechen. Nichtsdestotrotz ist man beim DFB bemüht, auch diese Zahl noch zu senken“, so Pilz.

Geschehen soll das unter anderem durch das Präventionskonzept „Fair ist mehr“. „Durch das Konzept will man der Achtung der Menschenwürde und der Entfaltung des Fair Play gerecht werden“, erklärt Pilz und ergänzt: „Neben diesen präventiven Aufgaben, sind auch Strukturen zu schaffen, die die Früherkennung von Gewaltvorfällen im Amateurfußball erleichtern. Bei der Intervention selbst hingegen sind in erster Linie Institutionen der sozialen Arbeit gefordert.“

Wird es trotz aller Bemühungen nötig, einen Übeltäter in die Schranken zu weisen, wüsste sich der DFB auch hier zu helfen. Pilz nennt ein markantes Beispiel: „Nachdem ein Amateurspieler im Rahmen eines Punktspiels einen Schiedsrichter krankenhausreif geschlagen hatte, wurde der Spieler gesperrt. Nach Rücksprache mit dem Sportgericht wurde die Sperre auf ein Jahr ausgelegt, wobei davon wiederum ein halbes Jahr der Bewährung diente. Allerdings galt diese Bewährung nur unter der Voraussetzung, dass der Spieler einen Schiedsrichterlehrgang absolviert und anschließend mindestens drei Spiele leitet.“ Durch diese Maßnahme konnte sich der Spieler anschließend nicht nur besser in die Aufgabe eines Schiedsrichters hineinversetzen, „sondern agierte fortan auch als Ruhepol für seine Mitspieler“, so Pilz. Diese Maßnahme verdeutlicht auch ein Umdenken seitens des DFB. Das Strafverfahren solle in Zukunft vermehrt von Sperren und Geldstrafen absehen und dafür die Spieler nachhaltig prägen.

Dass man damit vor allem im Seniorenbereich viel bewirken kann, sieht der Soziologe als bewiesen. Die Grundlage für ein gewaltfreies und tolerantes Denken solle in Zukunft aber schon viel früher geschaffen werden. In den sogenannten „Fair Play“-Ligen wird den fußballbegeisterten Kindern ein Gefühl für Gerechtigkeit vermittelt. Laut Pilz habe dies auch Auswirkungen auf alle Außenstehenden. „So wird den Eltern beispielsweise durch einen Mindestabstand zum Spielfeld verdeutlicht, dass negative Beeinflussung nicht zu einem geordneten Spielverlauf beitragen kann. Außerdem laufen die Spiele weitestgehend ohne Schiedsrichter ab, sodass sich der Nachwuchs bereits früh in Verantwortungsbewusstsein übt und vieles selbst entscheidet“, sagt er.

Pilz ist sich aber auch bewusst, dass man der Gewalt im Fußball nie vollends vorbeugen werden kann. „Natürlich sind wir gewillt, dies zu tun, allerdings spiegelt sich auf dem Fußballplatz auch ein Teil unserer Gesellschaft wider“, meint der Soziologe. Konfliktpotenzial bestehe vor allem in den Ballungsgebieten, also vornehmlich in größeren Städten.

Ein entscheidender Faktor sei dabei nicht selten das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. „Der Fußballplatz wird ein Ort zur Austragung sozialer, kultureller, ethnischer oder gar weltpolitischer Konflikte. Seitens des DFB will man sich aber auch dieser Herausforderung stellen und sie meistern“, erzählt Pilz.

Nichtsdestotrotz seien es immer noch Amateurtrainer oder Schiedsrichter, die sich in deren Freizeit mit teils komplexen sozialen Problemen auseinandersetzen müssten. „Deshalb ist es wichtig, dass sich jeder Einzelne vor Augen führt, dass die Verantwortlichen aus Freude an der Tätigkeit auf dem Platz stehen. Durch angemessenes Verhalten auf dem Fußballplatz kann man selbst auch als Zuschauer den ersten Schritt auf dem Weg zur Gewaltprävention gehen“, betont der 70-Jährige.