Desching
Ein sensibles Gebiet

Deschinger Landwirte sorgen sich wegen neu geplanter Bebauung im Interpark um Hof und Natur

10.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:18 Uhr
Gerade in östlicher Richtung ist die Badermühle von torfigen Flächen umgeben. Sie dienen laut Familie Strobel bei Starkregen als natürliches Rückhaltebecken, wie das Bild aus dem März zeigt. Wird ein Teil der Fläche durch einen Neubau versiegelt, sei der Hof durch Überschwemmungen gefährdet. Nun plant der Gerüstbauer Feig dort eine Neuansiedelung, sodass der Ingolstädter Energieversorger Prolignis auf dem bisherigen Feig-Grundstück an der Dieselstraße ein Biomasseheizkraftwerk bauen kann. Durch diesen Flächentausch würde die höhenmäßig größere Anlage von der Badermühle aus weiter nach hinten rutschen. −Foto: Stephan

Desching - Seit über 100 Jahren ist die Badermühle in Desching in Familienbesitz. Die Bebauung des benachbarten Interparks akzeptieren die Strobels, weil sie wissen, dass Gewerbefläche in Kösching notwendig ist. Doch mit einem neu geplanten Bauprojekt am westlichen Rand des Gewerbeparks sehen sie nicht nur ihren Hof in Gefahr, sondern auch das umgebende Moorland.

Christoph und Margit Strobel sowie der 24-jährige Sohn Stephan können nicht über zu wenig Arbeit klagen. Rund 50 Pferde stehen auf ihrem Hof samt Reitschule, den sie seit etwa 35 Jahren betreiben. Auch Zuckerrüben sowie Getreide wollen angebaut werden, die Landwirte kümmern sich um Grünland und eine Muttertierherde. Nun beschäftigen die Familie ganz andere Sorgen: Etwa 200 Meter vom Hof entfernt soll Grund entlang der Dieselstraße im Köschinger Teil des Interparks von einer Grün- in eine Gewerbefläche umgewidmet werden. Dort will sich wie berichtet unter anderem der Gerüstbauer Feig neu ansiedeln. Der Anstoß: Auf dessen bisherigem Grundstück auf der anderen Straßenseite plant der Ingolstädter Energieversorger Prolignis ein Biomasseheizkraftwerk. Damit sehen die Strobels Probleme auf sich zukommen. "Das ist eine harte Zeit", merkt Margit Strobel an.

Nachdem die Familie im November von dem Vorhaben erfuhr, wurde es vergangene Woche mit der Präsentation durch Prolignis-Vorstand Tobias Mayinger im Projektausschuss wieder konkret: Der Gerüstbauer Feig strebt ein Bürogebäude samt Parkhaus und Halle an. Im gegenüber geplanten Heizkraftwerk sollen laut Prolignis vor allem Waldhackschnitzel aus der Region verbrannt werden, um mit einer Leistung von 50 Megawatt CO2-neutrale Energie für einen Industriebetrieb in der Stadt und wohl auch für öffentliche Einrichtungen rund um Kösching zu erzeugen. Ein "identisches Kraftwerk" steht laut Interpark-Geschäftsführer Bernhard Miehling seit 15 Jahren nebenan beim holzverarbeitenden Betrieb Binder. "Das war immer hochgradig unkompliziert."

Den Strobels geht es bei ihrer Kritik in erster Linie um den Naturschutzgedanken. "Es handelt sich um eine ökologische Ausgleichsfläche, die mal als Grüngürtel geplant war", sagt Christoph Strobel über das Grundstück, auf dem ursprünglich Prolignis bauen wollte, das der Energieversorger aber nun mit Feig tauschen möchte. Margit Strobel macht sich Sorgen um Flora und Fauna in diesem "hochsensiblen Gebiet", das teils aus einer Moorboden- und Biotopfläche bestehe. Sie erzählt von Reihern, Feldhasen, Eisvögeln und Rehen, die Schutz im Garten der Badermühle suchen, weil ihr Lebensraum stetig schrumpft.

Miehling sieht das anders. Im Zuge einer artenschutzrechtlichen Erhebung war laut dem Interpark-Geschäftsführer nur das Rebhuhn "ökologisch auffällig". Für deren Brutstätten soll "an Ort und Stelle" über einen Feldweg und eine Hecke eine Ausgleichsfläche entstehen, die etwa viermal größer sei als die bisherige. "Eine Umsiedelung ist nicht notwendig."

Miehling bestätigt, dass der Boden des Grunds teilweise torfig ist - wie an anderen Interpark-Stellen auch. "Die Torffläche würde wie immer nicht angegriffen werden", sagt er. Der Torf werde also nicht abgetragen, sondern überbaut. Es sei ebenso richtig, dass dort ein Biotop amtlich kartiert ist. "Das ist aber seit Langem aufgefüllt", berichtet Miehling aus Zeiten, als die Shell-Raffinerie auf dem Areal stand. Tatsächlich existiere das Biotop somit nicht mehr.

Durch die Versiegelung des Grünlands befürchtet Familie Strobel aber auch vermehrt Überschwemmungen rund um ihren Hof: Der Köschinger Bach, der am Wohnhaus der ehemaligen Mühle vorbeiläuft, trete schon jetzt rasch über das Ufer - die Wiese östlich des Hofs diene dabei als natürliches Rückhaltebecken. "Durch Baumaßnahmen in der Umgebung ist der Anstieg rund um Desching heute bei Starkregen größer als früher, weil der Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen kann", schildert Christoph Strobel.

Miehling dagegen hält den zu bebauenden Teil der Fläche als Polder für ungeeignet, weil er etwa einen Meter höher liege als die Badermühle. "Ich bin seit 18 Jahren hier, in dieser Zeit hat die Fläche noch nie als offizielles Rückhaltebecken gedient", sagt der Geschäftsführer, der auf einen weiteren Dialog mit den Strobels setzt: "Wir wollen der Familie nichts Böses vor die Nase setzen", betont er.

Über die persönlichen Bedenken hinaus rechnen die Strobels auch mit Beeinträchtigungen der Köschinger Bevölkerung: Die Landwirte erwarten im Zuge des Holztransports erhöhtes Verkehrsaufkommen. Konkret kündigte Prolignis-Vorstand Mayinger etwa 25 Lkw täglich an. Die Fahrer sollen angewiesen werden, die südliche Zufahrt des Interparks zu nutzen, um die Belastung der Köschinger so gering wie möglich zu halten. Der von Familie Strobel befürchtete Lärm durch das Schreddern des Brennmaterials werde durch die Konzeption der Gebäude ins Innere des Interparks geleitet.

Die für die Maßnahmen notwendige Änderung des entsprechenden Bebauungs- und Grünordnungsplans bewegt die Gemüter in Kösching nicht zum ersten Mal. So hat sich der Gemeinderat 2017 gegen die Versiegelung ausgesprochen. Konkret gegen das Heizkraftwerk entschieden sich auch die Großmehringer 2019. "Wir haben genug Schlote", meint der ehemalige Bürgermeister Ludwig Diepold (UW) zum Beschluss des Gremiums, den Bau auf einem der letzten freien Grundstücke im Großmehringer Teil des Interparks zu verhindern. Die Schornsteine von Bayernwerk, Müllverbrennungs-Anlage und Binderholz seien ausreichend.

Nun dieselbe Diskussion wieder in Kösching. "Ich kann die Bedenken der Familie Strobel sehr gut verstehen", sagt Bürgermeister Ralf Sitzmann (UW). "Das Kraftwerk steht in ihrer Sichtachse." Mit dem Flächentausch von Prolignis und Feig, durch den die höhere Anlage vom Hof aus weiter nach hinten als zunächst geplant rutscht, sieht er aber eine Verbesserung.

Sollten Prolignis und Feig ihre Projekte an der Dieselstraße verwirklichen, wäre das für den Rathauschef eine "Abrundung des Interparks" - in allen Himmelsrichtungen wären die Grenzen für den Köschinger Teil des Gewerbeparks erreicht. Wichtig ist Sitzmann die Akzeptanz der Bürger, "warum das Kraftwerk bei uns gebaut werden soll" - egal, an welchem Standort: Der Vorteil für Kösching wäre eine klimaneutrale Energieproduktion durch die Anlage. Sitzmann spricht von einer Einsparung von 95000 Tonnen CO2.

Noch ist das Kraftwerk im Marktrat aber nicht durch. Eine Entscheidung könnte nach Sitzmanns Einschätzung durchaus knapp ausfallen. In der nächsten Sitzung am 18. Juni jedenfalls steht das Thema noch nicht auf der Tagesordnung. "Es sind noch Fragen zu klären", sagt der Bürgermeister, der verspricht, die Überlegungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Christoph Strobel denkt aber, dass das Projekt nach den bereits erfolgten Voruntersuchungen nicht fallen gelassen wird. Seine Familie hofft, dass es nicht bis zu einer Klage kommen muss: Sie setzt auf die Einsicht insbesondere des neuen Marktrats. "Gewisse Dinge erträgt man ja", sagt Christoph Strobel. "Aber auf Biegen und Brechen ein Gewerbe in eines der letzten Moorgebiete hier hinzustellen, das ist unverantwortlich."

DK

Tanja Stephan