Ein Rest von Realismus

Kommentar

22.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr

Eben noch für den raschen Abzug vom Hindukusch, nun plötzlich Verfechter einer Truppenaufstockung: US-Präsident Donald Trump kassiert ein weiteres Wahlversprechen und vollzieht eine spektakuläre Kehrtwende, was seine Position zum militärischen Engagement der USA in Afghanistan angeht. Seine Anhänger enttäuscht der Unberechenbare aus dem Weißen Haus damit gewaltig.

Die Entscheidung zeigt jedoch, dass Trump oder zumindest die einflussreichen Stimmen in seinem Umfeld noch über einen gewissen Rest-Realismus verfügen.

Afghanistan droht zurückzufallen in finsterste Zeiten, könnte dauerhaft wieder zur Brutstätte des internationalen Terrorismus werden. Die Taliban sind auf dem Vormarsch, die Regierung in Kabul ist so schwach wie nie zuvor. Was die Sicherheit in der Region und darüber hinaus angeht, birgt ein schneller Abzug größere Risiken als eine Fortsetzung des Einsatzes. Das scheint man nun auch in Washington erkannt zu haben. Mögen auch erste Erfolge bei der Ausbildung afghanischer Soldaten erreicht worden sein: Das alles reicht nicht, um die Sicherheit im Land auch nur annähernd zu garantieren.

Mit der Entscheidung der Amerikaner dürfte der Druck auf Deutschland und andere Nato-Staaten wachsen, die Zahl ihrer Soldaten am Hindukusch wieder zu erhöhen. Die Bundesrepublik kann das Ansinnen als drittgrößter Truppensteller mit guten Argumenten zurückweisen. Viel wichtiger ist erst einmal die Frage, welches Konzept das Bündnis in den nächsten Jahren in Afghanistan verfolgen will. Es wird sicherlich nicht genügen, weiter allein auf die Ausbildung von Polizisten und Soldaten zu setzen. Dort, wo die Afghanen selbst noch nicht in der Lage sind, muss das Militärbündnis vorübergehend stärker in die Bresche springen, selbst gegen die Kämpfer der radikal-islamischen Taliban vorgehen, um die Lage zumindest etwas zu stabilisieren.