Ingolstadt
Ein rechtlicher Meilenstein

28.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:45 Uhr

Es war ein Jahrhundertereignis, als am 1. März 1988 das Landgericht in Ingolstadt seine Tätigkeit in der Schanz aufnahm. Seit 1879 - vom Sonderfall Coburg abgesehen - war in Bayern und der ganzen Bundesrepublik kein neues Landgericht errichtet worden.

Am 4. März 1988 wurde das Landgericht unter seinem Gründungspräsidenten Wilfried Hüttl in einem Festakt feierlich eingeweiht. In ihrer Ansprache formulierte die damalige Bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner den Wunsch nach einer "bürgerfreundlichen Justiz", einer "verständlichen Sprache" und der "Übersichtlichkeit und Durchschaubarkeit rechtlicher Vorgänge". Mit einer Zielsetzung wird seit 30 Jahren am Landgericht Ingolstadt Recht gesprochen: Im Namen des Volkes, nicht um des Urteilens willen, sondern transparent, nachvollziehbar und zur Gewährleistung eines friedlichen Miteinanders der Bürger des Freistaates.

Auch räumlich gesehen schaffte das neue Gericht mehr Bürgernähe, ersparte es den Ingolstädtern doch die bis dahin notwendige Fahrt nach Augsburg oder München. Zuvor war die Region 10 keineswegs ein rechtsfreier Raum. Die Amtsgerichte Ingolstadt, Neuburg und Pfaffenhofen (und die Staatsanwaltschaft München II) sorgten für Recht und Ordnung, allerdings in dem gesetzlich beschränkten Umfang: die Kläger, die mehr als 5000 D-Mark begehrten, mussten nach München oder Augsburg reisen. Delinquenten, denen mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe drohten, wurden ebendort angeklagt.

Das Landgericht mit seinen damals 39 Mitarbeitern, davon neun Richter und neun Bewährungshelfer, gewährleistete von Anfang an eine bürgernahe Justizversorgung. Elf Spruchkörper, dies waren vier Zivilkammern, eine Kammer für Handelssachen und sechs Strafkammern, dienten der Rechtspflege und sorgten für Rechtssicherheit in der Region. Ende 1989 hatte das Landgericht Ingolstadt seine damals geplante Sollstärke von 66 Mitarbeitern, davon 17 Richter, erreicht. Galt dies zum Nutzen von vormals 350 000 Einwohnern, ist die Justiz im Landgerichtsbezirk heute für rund 480 000 Menschen da. Die Kernaufgaben sind gleich geblieben: Es werden Urteile gefällt, Konflikte gelöst, Schuld und Strafe ausgesprochen, Rechtsprechung der Untergerichte auf den Prüfstand gestellt, juristischer Nachwuchs ausgebildet und vieles mehr.

Etwa 60 000 Zivilverfahren mit Streitwerten bis zu 45 Millionen Euro (in einem Verfahren zur Explosion bei LyondellBasell in Münchsmünster) wurden in 30 Jahren am Landgericht Ingolstadt in erster und zweiter Instanz geführt. Thematisch befasst sich das Landgericht beispielsweise mit Schadensersatz nach Verkehrsunfällen, vertraglichen Ansprüchen aus Kauf-, Werk- oder Mietverträgen, handels- und gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten (wie zuletzt immer wieder bei Media-Saturn), erbrechtlichen Auseinandersetzungen, Schadensersatz nach Amtspflichtverletzungen oder nach ärztlicher Heilbehandlung, Betreuungsverfahren oder Zwangsvollstreckung. Immer wieder gab es auch ungewöhnliche Fälle, wie die Prozesse um die Mopsdamen "Emma" und "Ronja", den zerbrochenen bayerischen Wirtshausstuhl oder die Eigentumsverhältnisse an einem Tafelbild, welches Leonardo da Vinci zugeschrieben wird.

Die Menge der Verfahren, ihre steigende Komplexität und Differenziertheit führte am Landgericht zu einer Personalmehrung auf 85 Mitarbeiter bei allen Berufsbildern der Justiz. Die Sicherheitsanforderungen für Mitarbeiter und Besucher erhöhten den Bestand der Wachtmeister, insbesondere um weibliche Kräfte. Heute befassen sich 21 Richter (davon vier Teilzeitkolleginnen) mit 2000 Zivilstreitigkeiten und 500 Strafverfahren pro Jahr. Hierbei wird richterliches Fachwissen in Spezialkammern für Arztrecht, Baurecht, Versicherungsrecht, Bank- und Finanzgeschäfte und Handelsrecht gebündelt.

In dem Gebäude Auf der Schanz 37 wurden mit Umbaumaßnahmen die letzten Möglichkeiten für Büroräume geschaffen, nunmehr hat keine Maus mehr Platz. Apropos Maus: War in den frühen Jahren hin und wieder ein lebendes Exemplar in der Bibliothek des Landgerichts anzutreffen, ist nun beides verschwunden. Die Bibliothek wurde aufgelöst, da der Richter von heute in juristischen Datenbanken seine Recherche betreibt, und Mäuse gehören nur noch zur Ausstattung eines jeden PC-Arbeitsplatzes.

Die digitale Entwicklung wird in absehbarer Zeit die elektronische Akte auch ans Landgericht Ingolstadt bringen. Bei aller Technologie und künstlicher Intelligenz wird der menschliche Richter, der den Menschen zuhört, ihre Argumente abwägt, ihre ganz persönlichen Sorgen und Nöte wahrnimmt und sie in die zu treffende Entscheidung einbezieht, nie ersetzbar sein.