Wolnzach
Ein politischer Impulsgeber

Bei Gründung der Bayerischen Volkspartei vor 100 Jahren war ein Wolnzacher maßgeblich beteiligt

06.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:53 Uhr
Sebastian Schlittenbauer, geboren 1874 in Wolnzach, war maßgeblich an der Parteigründung beteiligt. −Foto: Archiv

Wolnzach (WZ) Der 12. November 1918 ist Gründungstag der Bayerischen Volkspartei (BVP), der damals wichtigsten politischen Kraft im Freistaat. Maßgeblicher Initiator bei dieser Parteigründung war ein bedeutender Wolnzacher: Sebastian Schlittenbauer.

Eine bürgerlich-konservative Partei in Bayern, die nur dort gewählt werden kann, in Berlin eine Fraktionsgemeinschaft mit einer wiederum nur im übrigen Deutschland wählbaren Partei gleicher politischer Ausrichtung bildet und mit dieser immer wieder in Streit gerät? Nein, die Rede ist diesmal nicht von der CSU, sondern von der Bayerischen Volkspartei (BVP), der wohl wichtigsten politischen Kraft des Freistaats in der Zeit der Weimarer Republik. Vor fast auf den Tag genau 100 Jahren, am 12. November 1918, wurde sie gegründet - und maßgeblicher Mitinitiator war der gebürtige Wolnzacher Sebastian Schlittenbauer. Rückblende: München gegen Ende des Ersten Weltkriegs. Genau wie der Kaiser im Reich, so hat auch Bayerns König Ludwig III. abgedankt. Die politischen Kräfte im Maximilianeum, dem Landtag des neuen Freistaats Bayern, formieren sich langsam. Wichtigstes Ziel: eine Revolution extremer linker Kräfte verhindern, aber auch gleichzeitig dafür sorgen, dass die extreme Rechte nicht eine Militärdiktatur ausruft.

Drei Parteien tragen die junge Republik: die gemäßigten Sozialdemokraten der SPD, die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) und das bürgerlich-konservative Zentrum, der politische Arm der deutschen Katholiken. Gemeinsam bilden sie die "Weimarer Koalition". Doch das gefällt den bayerischen Parteifreunden des Zentrums um den 1874 in Wolnzach geborenen Landtagsabgeordneten Sebastian Schlittenbauer nur bedingt. So richtig warm werden sie mit ihren Koalitionspartnern nicht. Die DDP ist für sie eine Ansammlung von Atheisten und anderer gottloser liberaler Freidenker, die SPD gilt ihnen als Feind aller Besitzenden. Obendrein halten sie das Zentrum in Berlin für "preußisch dominiert". Ganz falsch liegen sie damit nicht, denn zu den Wortführer der Partei zählt unter anderem der junge Oberbürgermeister des damals noch zu Preußen gehörenden Köln, ein gewisser Konrad Adenauer.

In einem Schreiben an Parteifreunde formulierte es der Wolnzacher Sebastian Schlittenbauer ziemlich drastisch: "Unsere Abhängigkeit von Berlin, selbst in kleinsten Dingen staatlicher Lebensäußerung, wird beinahe unerträglich. Wir dürfen, mit Verlaub zu sagen, in wirtschaftlichen Dingen und leider auch in politischen kaum mehr einen Furz tun, ohne die Berliner hierzu um Erlaubnis zu bitten."

Schon wenige Tage nach der Ausrufung der Revolution erfolgte deshalb am 12. November 1918 in Regensburg die Gründung der Bayerischen Volkspartei (BVP). Anwesend waren 123 ehemalige Mitglieder des Zentrums. Genau wie heute die CDU verzichtete das Reichszentrum darauf, künftig noch bei Wahlen in Bayern anzutreten. Im Reichstag bildete man eine Fraktionsgemeinschaft. Schlittenbauer, der zunächst auf Lehramt an Gymnasien studiert hatte und 1912 das erste Mal in den Landtag gewählt worden war, stieg 1913 zum Generalsekretär des Bayerischen Bauernvereins auf. Unter Parteifreunden wie politischen Gegnern galt er als hervorragender Redner und als guter Kenner der landwirtschaftlichen Materie.

Das wussten auch Kurt Eisner, der Ministerpräsident, und sein Innenminister Erhard Auer von den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) zu schätzen. Sie beriefen Schlittenbauer zum Direktor der für die Lebensmittelversorgung zuständigen und dem Innenministerium zugeordneten Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft. Ein eigenständiges Agrarministerium gab es damals noch nicht.

Bei den ersten freien Landtagswahlen vom 12. Januar 1919 wurde die Bayerische Volkspartei mit 35 Prozent auf Anhieb stärkste Partei und mit 66 von 180 Sitzen auch stärkste Fraktion, gefolgt von der SPD mit 61 Sitzen. Sebastian Schlittenbauer gehörte dem Bayerischen Landtag bis 1933 an, daneben betätigte er sich als Autor von agrarwirtschaftlichen und bildungspolitischen Aufsätzen. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde er kurzzeitig verhaftet und anschließend in seiner Funktion im Bauernverband zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Er starb 1936. Seine Bayerische Volkspartei ging nach dem Zweiten Weltkrieg in der CSU auf.

 

Andre Paul