Ingolstadt
Ein Mann des Übergangs

05.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:54 Uhr

Große Geste: Benjamin Shwartz dirigierte beim Audi-Open-Air im Klenzepark - Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte“, sagt Benjamin Shwartz, „und mein Leben noch einmal leben könnte, dann wäre ich länger beim Georgischen Kammerorchester geblieben.“ Zu spät: Jetzt geht seine Zeit als künstlerischer Leiter des Orchesters nach nur einem Jahr zu Ende, den Taktstock wird er weiterreichen an den armenischen Dirigenten Ruben Gazarian.

Von Anfang an stand der Amerikaner nur für eine Übergangsperiode zur Verfügung – als eine Art Notlösung, nachdem der Vertrag seines Vorgängers Lavard Skou Larsen überraschend nicht verlängert wurde.

Unter schwierigeren Bedingungen kann man ein Amt kaum antreten: Shwartz musste ein zutiefst zerstrittenes Orchester leiten und befrieden. Gleichzeitig aber hatte er nur wenig Zeit für diese Aufgabe, denn fast zeitgleich mit der Position in Ingolstadt wurde der Amerikaner auch noch zum Chefdirigenten der Breslauer Philharmonie berufen. So konnte Shwartz in dem einen Jahr kaum mehr als zehn Konzerte mit dem Ingolstädter Ensemble geben.

Und es verwundert nicht, dass Shwartz seine Zeit in Ingolstadt durchaus nüchtern und realistisch beurteilt. Die Arbeit mit dem Orchester war nicht immer frei von Spannungen. Am Ende aber fällt es Benjamin Shwartz doch schwer, das Orchester zu verlassen: „Es sind so warmherzige Musiker“, sagt er, „sie sind so familiär. Ich kenne sehr viele verschiedene Orchester, aber diese Leidenschaft am Konzertabend ist wirklich einzigartig bei den Georgiern.“

Die wenigen Monate in Ingolstadt reichen nicht aus, um von einer Ära Benjamin Shwartz zu reden. Dem Orchester einen neuen Klang zu geben, es zu profilieren und programmatisch anders auszurichten – dafür gab es einfach zu wenig Zeit. Und dazu war der beim Orchester sehr beliebte 35-Jährige sicherlich selbst noch ein zu ungefestigter Charakter, zu sehr ein (zweifellos hochbegabter) Anfänger, der zum ersten Mal überhaupt in seinem Leben Chef eines eigenen Orchesters war. Wichtig und segensreich war die Interimszeit dennoch. Shwartz hielt sich aus alten Konflikten heraus, vermied es, auch nur über seinen Vorgänger zu reden. Und konzentrierte sich ganz und gar auf die eigentliche Aufgabe des Orchesters: Musik zu machen. Eine weise Entscheidung. Denn die Wunden begannen zu heilen, im kommenden Jahr wird sogar eine Musikerin, die das Orchester wegen der Streitigkeit verlassen hatte, zurückkehren.

Vor allem aber gelang es Shwartz, eine sehr achtbare Abonnementreihe zu gestalten. Das lag keineswegs nur an den Konzerten, bei denen er selbst auf der Bühne stand, sondern fast mehr noch an der intelligent durchdachten Programmatik und den fast durchweg vorzüglichen Gastdirigenten. In hervorragender Erinnerung bleiben etwa der in Greding aufgewachsene Dirigent Patrick Lange, Clemens Schuldt, der designierte Chefdirigent Ruben Gazarian und Kevin John Edusei, der damals bei der Bewerbung um die Position des Chefdirigenten Skou Larsen knapp unterlegen war. Und vorzügliche Solisten waren eingeladen. Benjamin Shwartz hebt in diesem Zusammenhang besonders die Leistung der Cellistin Natalie Clein hervor. Aber begeistern konnten auch das Klarinettenduo Gurfinkel, die Bratscherin Jennifer Stumm und der Pianist Alexander Lonquich.

Vielleicht ist es der Hauptverdienst von Benjamin Shwartz, dass um das Orchester herum wieder Ruhe eingekehrt ist. Dass es möglich ist, sich in den Konzerten wieder allein auf die Musik zu konzentrieren.

Überhaupt ist dieses Element der Konzentration für den jungen Dirigenten vielleicht der größte Vorzug der klassischen Musik. Für Shwartz ist die intensive Beschäftigung mit einem langen, ernsten Musikstück fast eine Art Gegenübung zur Flüchtigkeit, Schnelligkeit und Zerstreutheit unserer gegenwärtigen Welt. Einem Leben ohne Fokussierung, aber mit ständigem Blick auf die neuesten Smartphone-Messages. Er selber hat Konsequenzen aus dieser Einsicht gezogen – und vor ein paar Wochen sein iPhone weggeschmissen.