Karlskron
Ein Mammut allein unterwegs

Der Karlskroner Bürgermeister Stefan Kumpf marschiert 100 Kilometer rund um München

08.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:17 Uhr
Inzwischen hat der Karlskroner Bürgermeister Stefan Kumpf seine Medaille daheim. Eine Tracking-Uhr hat alles haargenau aufgezeichnet. −Foto: Kumpf, Stefan

Karlskron - Selbst zwei Wochen später spürt Stefan Kumpf noch Muskeln, von deren Existenz er eigentlich noch gar nichts geahnt hat.

Aber "es war der Wahnsinn", sagt der 41-Jährige. Dieser Wahnsinn waren 100 bewältigte Kilometer am Stück - zu Fuß. Allein. Ohne Begleitung. Ohne Ansprache: Der Karlskroner Bürgermeister hat an einem Mammutmarsch teilgenommen.

"Ich habe es bewältigt. " Noch immer freut sich Kumpf über diese Leistung. Und die ist es wirklich, denn es geht nicht nur um die körperliche Fitness, die man hier braucht. Vielmehr stellt sich da die Frage: "Schaffe ich das mental? Was macht das mit mir? " Durch die Nacht hindurch marschieren, einfach so drauf los. Heute, wenige Wochen später, kann es der Rathauschef beantworten. Körperlich: "Ich muss ausgeschaut haben wie der letzte Penner. " Mental: "Man bekommt den Kopf frei, unwahrscheinlich. " Aber auch für das Leben als solches: "Man meint, Dinge zu brauchen, die man gar nicht braucht. "

Denn, wer meint, dass Kumpf vorbereitet wie eine Eins in diesen Mammutmarsch gestartet ist, der irrt. Am Freitagvormittag fiel die Entscheidung, am Nachmittag loszumachen. "Am Samstag sollte das Wetter schlecht werden. " Raus aus dem Rathaus, rein in den Supermarkt. Würste, Wasser, Käse, Kekse, Energydrink, Klopapier. "Und Gwand. " Er sei "für ein Biwak von vier Tagen" vorbereitet gewesen, meint Kumpf lachend. Sieben Kilo habe der Rucksack gewogen. Um 16.15 Uhr ging es in Planegg bei München los: Die Route war von den Veranstaltern festgelegt worden. "Frisch, fromm, fröhlich frei" sei er marschiert. "Mutterseelenallein. "

Genau Kumpfs Ding: "Ich bin ein Alleinläufer", sagt er. Auch beim Sporteln daheim. "Da kann ich machen, was ich will, ich brauch nix, niemanden. " Und er ist ein erprobter Läufer: Eigentlich beginnt kein Tag ohne seine Haus- und Hofstrecke daheim im Gemeindegebiet. Treffen wird er um die Uhrzeit wenige, maximal Berufspendler oder Frühaufsteher. 5.30 Uhr raus aus dem Bett, rein in die Laufklamotten und auf die Strecke. "Der Tag ist ein ganz anderer, wenn man so startet. " Er vergleicht das mit einem Auspuff: "Wenn ich den ordentlich durchbrenn', dann schnurrt der Kater. " Gerade heuer, wo es keine organisierten Läufe gab, sei es schon oft eine Überwindung gewesen. "Wenn man kein Ziel vor Augen hat, macht sich der Schweinehund breit. " Aber ohne Laufen, da fühle er sich träger, "da denke ich nicht so frisch". Mehrere Marathons hat er inzwischen absolviert, unter anderem in Berlin. "Das ist eine Sucht. Stellen Sie sich mal vor, wie die Zuschauer am Rand einen pushen. " Natürlich hat er es da bedauert, dass München oder Berlin heuer abgesagt wurden. Virtuell, das war eher nicht so seins. Aber dafür ist eine andere Idee immer mehr gereift, bis irgendwann für Kumpf klar war: "Wenn ich 42 Kilometer rennen kann, dann muss ich auch 100 Kilometer gehen können. "

Von Planegg aus wandert er in die Nacht hinein. "Immer wieder habe ich mit meiner Frau telefoniert", berichtet er. 24, 25 Kilometer hat er schon hinter sich gebracht, als er doch einmal die erste Pause einlegt. "Ich hätt' aber noch gar keine Brotzeit gebraucht. " Dafür aber einen Whiskey-Cola: Nachdem gelüstete es dem Bürgermeister nämlich irgendwann, als er kurz vor Mitternacht das letzte Mal mit Ehefrau Kathrin übers Handy spricht ("Ich habe zwei Powerbanks mitgenommen, weil ich Angst hatte, dass mir der Saft ausgeht"). Die sitzt nämlich just bei Freunden und trinkt mit ihnen "auf dich" einen Sambuca. "Bei der nächsten Tankstelle kauf ich mir einen Whiskey-Cola. " Eine Tankstelle kommt natürlich nicht. "Den Whiskey-Cola gab es erst am nächsten Abend daheim, aber da hab ich ihn nur halb ausgetrunken. "

Gegen halb 2 Uhr trifft Kumpf im Wald auf ein weiteres "Mammut", einen anderen 100-Kilometer-Wanderer. "Noch so ein Verrückter", habe er sich gedacht - und natürlich mit dem Kollegen ein paar Worte gewechselt. Sein Hörbuch - "Die Päpstin" -, das er mitgenommen hatte, blieb komplett im Rucksack. Ermüdungserscheinungen? Langeweile? Kälte? Keine Spur: "Ich habe immer schwitzige Hände gehabt, einen Puls um die 100."

Um Kilometer 50 herum wird es hart. "Aber da macht Umdrehen keinen Sinn mehr. " Für Aussteiger wäre es aber möglich, denn die Streckenplaner haben hier eine Art Kreuzung vorgesehen, so dass es zum Ausgangspunkt nicht mehr weit wäre (siehe Grafik). Aber für Kumpf keine Option. "Einen Biss hab' ich schon. "

Als es hell wird, erreicht Kumpf bereits die Stadtgrenzen der Landeshauptstadt, wandert durch die Straßen Münchens über die leere Theresienwiese und macht sich langsam auf die Strecke Richtung Parkplatz bei Planegg. Dazwischen begegnen ihm "die Snobs", die schon entlang der Isar joggen. So flockig-leicht geht es bei Kumpf nicht mehr: Die letzten hundert Meter bis zum Parkplatz waren eine Tortur, erinnert sich Kumpf. Denn: Die 100 Kilometer waren exakt 700 Meter von seinem Auto entfernt geschafft. Und da war der Karlskroner Bürgermeister schon die letzten 20 Kilometer nur mehr auf der Außenkante seines Fußes gehumpelt, weil er sich eine dermaßen große Blase eingefangen hatte. "Das hat definitiv keinen Spaß mehr gemacht", sagt er und lacht. Es war "eine Grenzerfahrung". 20 Stunden und 40 Minuten lang. Und nicht die letzte: Kommendes Jahr will Kumpf wieder losmarschieren. Vielleicht mit Gleichgesinnten aus der Region? Wer sich mit ihm in Verbindung setzen will, hat dazu in einer Telegram-Gruppe die Möglichkeit. Sie ist zu erreichen unter t. me/Mammutmarsch2021.

SZ

Marco Schneider