Neuburg
Ein Märchen für Erwachsene

Theatergastspiele Kempf inszenieren "Haus am See" im Stadttheater

12.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:50 Uhr

Das geht noch einmal gut aus: Ethel (Viktoria Brams) macht sich große Sorgen um Norman (Volker Brandt), doch der erholt sich von seinem Schwächeanfall und schmiedet Pläne - Foto: Hammerl

Neuburg (ahl) Welch zauberhafte Geschichte! Ein Märchen für Erwachsene, das dank spritziger Dialoge, die vor trockenem Humor nur so strotzen, fernab von Kitsch und falscher Rührseligkeit bleibt. „Das Haus am See“, geht ans Herz, aber es rührt nicht zu Tränen – allenfalls zu Lachtränen.

Volker Brandt verkörpert den grantelnden Wissenschaftler a.D. Norman Thayer mit ungeheurer Präsenz und Überzeugungskraft. Unfassbar, dass er tatsächlich so alt ist wie der von ihm gespielte 76-Jährige, der sich schon aufgegeben zu haben scheint, nachdem sich seine zunehmende Vergesslichkeit immer öfter bemerkbar macht. Ehefrau Ethel (ebenso authentisch: Viktoria Brams), vom Naturell her das ganze Gegenteil ihres Mannes, steht ihm an Schlagfertigkeit kaum nach, beherrscht aber den deutlich sanfteren, dabei keineswegs harmlosen Zungenschlag: „Du bist der süßeste Mann der Welt – und ich bin die Einzige, die das weiß“.

Sie will den 48. gemeinsamen Sommer im Haus am See genießen, er fürchtet, es werde der letzte sein. Dass es ein ganz besonderer Sommer wird, ist Billy zu verdanken, dem 15-jährigen zukünftigen Stiefsohn von Ethels und Normans Tochter Chelsea (Susanne Meikl), die Billy für vier Wochen bei den Großeltern parkt. Billy (perfekt als cooler Teenager: Lukas Ruben Eickholl) entpuppt sich als „großes Glück für Norman”, wie Ethel bald feststellt. „Ich hätte Norman schon vor Jahren einen 15-Jährigen mieten sollen“, erklärt sie ihrer Tochter, als die – aus Sicht des ungleichen Trios – viel zu früh aufkreuzt, um Billy wieder abzuholen.

Seine Wandlungsfähigkeit stellt der Fünfte im Ensemble, Momme Mommsen in zwei Rollen, die kaum unterschiedlicher sein könnten, unter Beweis. Als Charlie Martin mimt er Chelseas Jugendfreund, einen intellektuell einfach gestrickten Briefträger, der sich in den Ausdruck „Heilige Makrele“ flüchtet, wenn ihm nichts Besseres einfällt. Als Zahnarzt Bill Ray darf Mommsens Köpfchen deutlich heller, der Bauch flacher sein und auch rhetorisch kann er es beinahe mit Schwiegervater Norman aufnehmen.

Wie im Flug vergehen zwei Stunden Spielzeit, bleibt der Spannungsbogen kontinuierlich auf hohem Niveau, folgt Pointe auf Pointe, während sich die Charaktere wandeln. Norman zeigt plötzlich den weichen Kern unter rauer Schale, und Billy mutiert zum verantwortungsvollen und hilfsbereiten Jugendlichen. Geben und Nehmen in seiner schönsten Form verwirklicht sich hier, und das Erstaunliche daran ist, dass Billy das sogar in Worte fassen kann. Er verbessert sein Französisch, lernt Buchklassiker kennen und übernimmt im Gegenzug Verantwortung für Norman, der sich nicht immer orientieren kann.

Das Wohnzimmer von Norman und Ethel bildet die unaufdringliche, aber stellenweise symbolträchtige Kulisse, die sich den Dialogen klar unterordnet. Ende gut, alles gut – auch Chelsea findet ein neues Verhältnis zum Vater. Das klingt kitschig, ist es aber nicht, jedenfalls nicht in der rundum stimmigen und kräftig beklatschten Inszenierung der Theatergastspiele Kempf.