Pfaffenhofen
Ein Leben für den perfekten Klang

Weltklassemusiker setzen auf die Oboenwerkstatt von Hans-Peter Springer (82) aus Pfaffenhofen

12.03.2021 | Stand 17.03.2021, 3:33 Uhr
Oboenspezialist Hans-Peter Springer und sein Kater Caspar Hauser (Foto oben) sind ein eingespieltes Team. −Foto: Bendisch

Pfaffenhofen - Auf der schwarzen Schürze steht Picus (lateinisch für Specht), denn unter diesem Namen kennen ihn erstklassige Oboisten aus aller Welt von Bayern bis Japan. Auch außerhalb der Pandemie ist ein Oboenatelier nicht unbedingt ein Ziel für Laufkundschaft und so freut sich Hans-Peter Springer über Besuch: "Immer herein, obwohl der Spiegel mir heute gesagt hat, ich soll mir keine Mühe geben..."

Alles ist sehr bescheiden: Das kleine "Hexenhäuschen" im verwilderten Garten mit uralten Obstbäumen, die Einrichtung und Picus selbst. Man lernt einen gut gelaunten 82-jährigen kennen, der keine Ansprüche stellt und sich auch im nächsten Leben wieder für die Oboe entscheiden würde. Eine scheue Tigerkatze schleicht durchs Unterholz. "Das ist die Mutter", erklärt Springer. Ihre beiden Söhne, stattliche pechschwarze Brummer, hat er Oscar und Caspar Hauser getauft: "Der Vater ist unbekannt". Oscar ist eher zurückhaltend; von Caspar Hauser kann man durchaus sagen, dass er mit seinem Menschen eine Einheit bildet. Der Kater sucht ständig Körperkontakt, verteilt großzügig Küsse und wenn Picus scheinbar genervt sagt "Jetzt springt mir der Kerl schon wieder in den Nacken!", weiß man doch, dass er sich ebenso freut. Caspar Hauser liebt Wattestäbchen, die Springer für die Arbeit an der Oboe braucht: "Da mache ich Kringel draus und werfe sie durch die Bude - und er apportiert sie".

Die Liebe zur Musik und später die Oboe als Lebensmittelpunkt; das habe sich wie so Vieles als Zufall ergeben, erzählt Springer, der mit 82 Jahren gerade wieder ein Patent für die Oboe angemeldet hat. Flucht aus Schlesien, Bombenangriffe: "Eine furchtbare Zeit für alle Menschen, und als Kind versuchte ich die traumatischen Erlebnisse zu kompensieren, indem ich den Klassenclown spielte. Dabei war ich ein einziges Nervenbündel". Für sich selbst entdeckte er die heilende Wirkung der Musik; sie zum Beruf zu machen, kam nicht in Frage: "Da gab es wenig Verständnis". Springer absolvierte eine ungeliebte Lehre in der Industrie, lernte nebenbei als Autodidakt Klarinette und spielte bald in Jazzbands. Dann wollte er mehr: "Als ich mit 20 im Konservatorium vorstellig wurde, konnte ich keine Noten lesen und hatte eine miserable Fingertechnik". Er wurde trotzdem aufgenommen und musste hart an sich arbeiten. "Es reicht nicht, wenn man gut und fleißig ist", sagt Springer, "wenn man als Musiker oder als Instrumentenbauer etwas erreichen will, muss man sehr gut und sehr fleißig sein". Die Zeit im Kurorchester von Bad Wörishofen war für den jungen Klarinettisten besonders schön; zumal sie auch den Anstoß für seine spätere Laufbahn gab. "Komm, wir tauschen mal", hatte der Musikerkollege neben ihm zum Spaß gesagt, um dann festzustellen: "Du musst Oboe spielen!" Springer nahm Unterricht und lernte Oboe als Zweitinstrument, wobei ihn deren Aufbau und Verbesserung immer mehr interessierten. Die ganz schnellen Noten auf der Oboe seien nie wirklich sein Ding gewesen, räumt er ein, ganz im Gegenteil zum langsamen Spiel. "Cantilenen-Schleicher" sei sein Spitzname im Orchester gewesen meint Picus und grinst.

Als er bei der Musikmesse in Frankfurt sein erstes Patent vorstellen konnte, entschied er sich ganz für ein Oboenatelier und ließ sich noch zum Holzblasinstrumentenmacher ausbilden. Seine große Werkstatt mit mehreren Angestellten in München wurde in Fachkreisen hochgejubelt; der geschäftlich unerfahrene Springer war damit aber letztlich überfordert: "Ich war naiv und wollte alles allein schaffen, was andere im Familienverband machten." Verträge, Aussagen zwischen den Zeilen: Für andere war es leicht, ihn selbst mit dem eigenen Patent über den Tisch zu ziehen, wie man so sagt. In München lernte er Claus Hipp kennen, selbst ein begabter Freizeit-Oboist. Er unterstützte ihn, indem er ihm anbot, nach Pfaffenhofen zu ziehen und von vorn anzufangen.

Dem Besuch etwas vorspielen möchte Picus nicht: "Das kann jemand anderes weitaus besser!" In der Tat ist Cvetomir Velkov ein Spitzen-Oboist und seit einigen Jahren eine Bereicherung der Pfaffenhofener Musikszene. Der gebürtige Bulgare arbeitet gern mit Hans-Peter Springer zusammen; nicht nur wenn es darum geht, das eigene Instrument zu "warten". Gemeinsam feilt man an Verbesserungen, immer auf der Suche nach dem idealen Ton. "Ich bin Klangfetischist", meint Springer. "Oft kann man mit winzigen Veränderungen viel erreichen."

Die Oboe ist ein aus drei Teilen bestehendes Holzblasinstrument mit einer sehr komplizierten Klappen- und Hebelmechanik. Gefertigt wird sie aus dem schwarzen Grenadille-Hartholz. Etliche Tausend Euro müssen Könner wie Cvetomir Velkov in ein gutes Instrument investieren, das manchmal schon nach ein paar Jahren durch Feuchtigkeit und feine Risse im Holz "verbraucht" ist. so ist das", weiß Springer, der das Innere der Oboen mit einem besonderen Epoxidharz beschichten und unempfindlicher machen kann - ohne Auswirkungen auf Klangspektrum und Spieleigenschaften. Aus einem eher mittelmäßigen Instrument durch Bohrungen etwas Besonderes zu machen; auch das beherrscht er.

Vor dem Spiel wird eingeweicht: Das Mundstück der Oboe besteht aus Pfahlrohr, das in Südfrankreich angebaut wird. Auch das schmale kleine Teil ist teuer und jeder Oboist feilt es sich noch selbst individuell passend zurecht. Nach ein paar Minuten im Wasserglas - beäugt von Caspar Hauser, der über den Arbeitstisch stakst - ist das Mundstück einsatzbereit und man darf sich auf ein ganz kleines Konzert freuen. Ein bisschen Klassik, ein bisschen "Zigeunerbaron", einfach wunderbar. Der Klang der Oboe sei der menschlichen Stimme besonders ähnlich, heißt es. Als musikalisch leider völlig unbeleckter Laie hat man beim Instrument aber zu allererst eine Ente im Sinn; war doch Prokofjews Musikmärchen "Peter und der Wolf" in den späten Fünfziger Jahren regelmäßig ein Highlight im sonntäglichen Kinderfunk. Natürlich gibt Velkov dann noch ein bisschen Ente - wie schön.

Der Oboist verabschiedet sich, Picus kramt in Schubladen und Erinnerungen. Einmal hat er den früheren österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky ganz privat und hoch zu Ross fotografiert: "Das war schon toll". Jungen Leuten gibt er den Rat, sich vor allem zu bewegen. Er selbst ist auch nach einer Hüftoperation noch fit - "Schauen Sie mal, wie ich hüpfen kann". Ansonsten dreht sich der Tag von Hans-Peter Springer um die Oboe; der abgearbeitete Arbeitstisch ist die Zentrale im alten Häuschen. Auch Werkzeug braucht er nicht viel; aber das richtige muss es sein, oft selbst passend angefertigt. Spezialisten wie ihn gibt es weltweit nur noch ein paar. Der "Specht" bohrt ein Loch; über die Oboe hinweg gibt Caspar Hauser wieder Küsschen und wartet auf ein Wattestäbchen. Alles passt.

PK