Neuburg
Ein kühner Ritt

Rita Süssmuth stellt in der Buchhandlung Rupprecht ihr Buch "Das Gift des Politischen" vor

10.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:40 Uhr

Nachdenklich präsentierte sich am Montagabend die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth - Foto: Belzer

Neuburg (DK) Im Rathaus hat sie sich gestern ins Goldene Buch der Stadt eingetragen, davor war die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth zu Gast in der Buchhandlung Rupprecht, um ihr neues Werk vorzustellen.

So ganz zieht sie nicht mehr. Zur Vorstellung ihres neuesten Buches „Das Gift des Politischen. Gedanken und Erinnerungen“ am Montagabend in der Buchhandlung Rupprecht blieb – wie früher in der Schule – die erste Reihe leer. Was schade war, denn die mittlerweile 77-jährige, ehemalige Bundestagspräsidentin, Familien- und Gesundheitsministerin, hat Interessantes zu erzählen. Sie ist immer noch voll drin in der aktuellen Tagespolitik, kann zu vielen Themen, die Moderatorin und Geschäftsinhaberin Maria Rupprecht ihr stellt, fundiert Antwort geben.

Hier allerdings lag auch die Schwäche des Abends: In gut zwei Stunden wurde ein wahrer Galopp durch Süssmuths Biografie, die deutsche Innen- und Außenpolitik unternommen. Ein kühner Ritt, der dann auch zu oft nur an der Oberfläche kratzte. Es hätte dem Abend gut getan, wenn sich Rupprecht und die Politikerin a.D. auf ein paar wenige Themen fokussiert hätten. Ukraine, Afghanistan, Syrien, Irak, der Nahe Osten. Die Jugendarbeitslosigkeit in den arabischen Ländern. Bildungspolitik, die Wirtschaftskrise, Flüchtlingspolitik, Waffenexporte, ihr Verhältnis zur Union und zu Helmut Kohl im Speziellen: zu viel.

Dabei hat Rita Süssmuth mit dem Titel ihres Buches das eigentliche Thema vorgegeben, um das es hätte gehen müssen: um das Gift des Politischen. Ganz am Anfang erklärt sie: „Ich habe Erfahrungen gemacht, die ich als schädlich, als vergiftend empfunden habe.“  Die sinkende Wahlbeteiligung und das mangelnde Engagement in Parteien seien die Auswirkungen dieses Gifts. Ihre Diagnose lautete: Die Politik traut sich nicht, sie wagt es nicht, den Bürgern frühzeitig die Wahrheit zu sagen. Oftmals gebe es in der Wissenschaft – aus deren Universum die Wuppertalerin stammt – breiten Konsens zu vielen Themen, in der Realität hapere die Umsetzung dann aber an mangelnden Mehrheiten. „Aus Angst warten wir zu lange, die Wahrheit zu sagen.“ Als Beispiel nennt sie den demografischen Wandel, der längst bekannt sei. „Schon 1980, als ich angefangen habe, war klar, dass sich die Geburtenrate seit 1964 halbiert hatte.“ Die Politik aber habe viel zu spät Maßnahmen ergriffen, dem entgegenzusteuern. „Das war eine giftige Angelegenheit mit Langzeitschäden.“

Ähnlich sei es ihr gegangen, als es um das Thema Aids ging. Da habe sie leidenschaftliche Diskussionen mit dem damaligen bayerischen Umweltminister Peter Gauweiler geführt, der beim Thema Prävention gänzlich anderer Meinung war. Bürgerbeteiligung, Dialog – das seien im Besonderen die Gegengifte, die verabreicht werden sollten. „Der Bürger darf sich nicht ohnmächtig fühlen.“ Als weiteres Beispiel nannte Süssmuth den Reaktorunfall von Tschernobyl. „Wir wussten damals schon, dass der Ausstieg aus der Atomenergie notwendig ist. Da hätten wir nicht bis Fukushima warten müssen.“ Die Politik wolle nicht beunruhigen. „Das ist falsch.“

Gerne hätte man von ihr noch mehr gehört, von dem Gift, das im Land Politikverdrossenheit schürt und Vertrauen zerstört. Das Parteiendenken sei ihr, die spät in die Politik gewechselt ist, immer schwer gefallen. Sie, die Frau in der Männerdomäne, war nicht immer überzeugt, von den Programmen der Union. Sie stritt für das Kindergeld, ihre Parteikollegen waren für einen Kinderfreibetrag. „Warum? Es ging nur darum, Geld einzusparen.“ Süssmuth hat Kämpfe ausgefochten, viele Kämpfe. „Aber das Kämpfen lohnt sich.“