Ingolstadt
Ein Kampfkommandant, der nicht kämpfen will

Der Mut Paul Weinzierls zum Ungehorsam bewahrte die Stadt bei Kriegsende wohl vor weiteren großen Zerstörungen

24.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:28 Uhr
Wolfgang Weinzierl: Der Landschaftsarchitekt (74) ist das jüngste von fünf Kindern Paul Weinzierls (r.), der 1945 eine entscheidende Rolle für die Stadt gespielt hat. −Foto: Hammer, privat

Ingolstadt - Der Name Weinzierl steht für eine der einflussreichsten Ingolstädter Familien des 20. Jahrhunderts.

 

Die Weinzierls haben sich auf ganz unterschiedliche Weise hervorgetan, als Unternehmer, Politiker, Naturschützer, Landschaftsplaner. Einem von ihnen, Paul Weinzierl (1897-1979), hat die Stadt wohl am meisten zu verdanken, denn der damalige Reserveoffizier gilt als Retter Ingolstadts in den dramatischen Tagen des April 1945, als der Einmarsch der US-Armee bevorstand.

"Sind Sie der Kampfkommandant von Ingolstadt? Ich habe die Verteidigungsbereitschaft von Ingolstadt nachzuprüfen", so schilderte Major Weinzierl nach dem Krieg die Frage von Generalleutnant Koch, der er sich am 20. April 1945 zu stellen hatte. Offenbar waren seine militärischen Vorbereitungen für den inspizierenden General nicht glaubwürdig genug. "Ich ziehe Sie als vereidigten Kampfkommandanten dafür zur Verantwortung, ein Vollstreckungskommando von einem Offizier und zwölf Mann habe ich zu Ihrer Hinrichtung bestellt. "

Die Stadt wurde, wie man heute weiß, nicht gegen die Amerikaner verteidigt und so vermutlich vor weiterer Kriegszerstörung bewahrt. Doch der damalige Kampfkommandant riskierte mit seinem Ungehorsam sein Leben. So wie der Kampfkommandant im thüringischen Gotha, Josef Ritter von Gadolla, der die kampflose Übergabe der Stadt mit seinem Leben bezahlen musste und nach einem Urteil der NS-Justiz in Weimar standrechtlich erschossen wurde. "Damit Gotha leben kann, muss ich sterben", sagte er vor seiner Hinrichtung.

 

In einer eidesstattlichen Erklärung vom 2. August 1946, als alles glücklich überstanden war, schrieb Paul Weinzierl, dass er dem damaligen OB Josef Listl rechtzeitig im Vertrauen mitgeteilt habe, die "Verteidigungsmaßnahmen so organisiert" zu haben, dass "Ingolstadt nach menschlichem Ermessen nicht viel passieren" könne. Falls diese Absichten "misslingen, dann habe ich mich eben für unsere Heimatstadt geopfert".

Als Paul Weinzierl diese Erklärung vor der Spruchkammer zu Protokoll gab, war sein jüngster Sohn Wolfgang noch kein Jahr alt. "Ich bin in der Stunde Null plus geboren", sagt der Landschaftsarchitekt, der mit seiner Frau Petra als Ruheständler noch in der Familienvilla an der Parkstraße wohnt. "Ich bin in den Nachkriegsaufschwung hineingewachsen, als Kind und Jugendlicher habe ich mich mit meinem Vater über diese Geschichte so gut wie überhaupt nicht unterhalten. Ich musste mich auf das stützen, was schriftlich niedergelegt war. " In Erinnerung habe er ihn als "konservativ-national geprägt", jedoch stets mit dezidiert "seiner eigener Meinung".

Vater Paul gehörte eine Legislaturperiode von 1961 bis 1965 als CSU-Abgeordneter dem Bundestag an. Als sein Jüngster nach dem Abitur am Reuchlin vor der Frage stand, Wehrdienst verweigern oder dienen, hätte der Politiker sicher seinen Einfluss geltend machen können. "Das hat er aber nie getan", versichert Wolfgang. "Ich habe mich ihm gegenüber verpflichtet gefühlt, dass ich nicht verweigere, und mich sogar auf zwei Jahre verpflichtet. " Als Leutnant der Reserve sei dann aber "Schluss mit der Bundeswehr für mich" gewesen. "Das war für mich indirekt ein Berührungspunkt mit der Geschichte meines Vaters. "

 

Paul Weinzierl und seine Frau Thekla hatten fünf Kinder. Die älteste Tochter Elisabeth, Jahrgang 1926, kann sich krankheitsbedingt nicht mehr zur Familiengeschichte äußern. Paul junior starb 2004, im Jahr darauf auch sein Bruder Alfons. Der war in der Stadt als Unternehmenschef und CSU-Stadtrat weithin bekannt, galt als politischer Hardliner, durchaus nicht auf einer Linie mit dem jüngeren Bruder Wolfgang.

Vater Paul jedoch, so erinnert sich der Landschaftsarchitekt, habe sich mit seiner eigenen Rolle als Kampfkommandant zu Kriegsende "je älter er wurde, desto mehr beschäftigt". Das alles sei im Alter bei ihm "richtig hochgekommen". Sein Ziel: "Ihm war es wichtig, dass es richtig dargestellt wird, auch für uns als Familie war es nicht das Thema, dass wir unseren Vater auf einen Sockel stellen. "

Beim DK-Gespräch in der Weinzierl-Villa schaltet Wolfgang kurz seinen älteren Bruder Hubert (84) telefonisch zu. Der Gründervater der politisch engagierten Naturschutzbewegung lebt seit langem im niederbayerischen Wiesenfelden. Obwohl gesundheitlich inzwischen angeschlagen, erinnert sich Hubert nach eigenen Angaben "sogar sehr genau" an die entscheidenden Apriltage 1945. "Meine Brüder und ich waren im Keller unseres Hauses", schildert er die Lage bei Kriegsende, "der Vater ist immer wieder zu uns reingekommen und hat uns auf dem Laufenden gehalten. Ich habe die ganze Zeit furchtbare Angst gehabt, vor jedem Fliegerangriff. "

DK