stadtgeflüster
Ein Hoch auf den Liniennetzwerker

25.02.2021 | Stand 26.04.2021, 3:34 Uhr

Bei diesem Job ist Frust inbegriffen.

Wenn man in der Führung eines bestimmten Unternehmenstypus arbeitet, der naturgemäß immer Miese produzieren muss, kann die Work-Life-Balance leicht so störungsanfällig werden wie ein Omnibusfahrplan bei Glatteis. Das Management mag noch so engagiert zu Werke gehen, am Ende kommt jedesmal ein Millionendefizit raus, manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger. So ist das Geschäftsmodell.
Wer wüsste das besser als INVG-Prokurist Hans-Jürgen Binner, der kürzlich ohne großes Trara auf seine 40-jährige Tätigkeit in der Organisation des Öffentlichen Nahverkehrs in Ingolstadt zurückblickte. Lobreden gab es bei der INVG keine. Dabei hätte der Mann gewisse protokollarische Ehren schon verdient gehabt, und sei es nur eine Jubiläumsfahrt mit der festlich dekorierten Nostalgiepferdebahn vom Wohnort Gerolfing zur Arbeitsstätte im Nordbahnhof. Der ÖPNV als Lebensaufgabe, ausgerechnet in einer Stadt mit der zweitgrößten Pkw-Fabrik Europas, einer Stadt, in der viele ihren gesellschaftlichen Aufstieg von Q2 bis Q8 durchnummerieren, das kann nur gutgehen, wenn es wie im Fall Binners von einer erfolgsorientierten Freizeitgestaltung flankiert wird. Kurz: der CSU.
Als Chef des derzeit amtierenden Bundesinnenministers - Binner steht sei 30 Jahren an der Spitze des CSU-Ortsverbandes West - trägt man schließlich eine besondere Verantwortung. Und als heimlicher Sprecher der Parteibasis, ohne dessen Warnhinweise keine Kandidatenliste aufgestellt wurde, ließ es sich im sicheren Gefühl der politischen Marktführerschaft all die Jahre gut leben. Bis zum März 2020, denn da fiel der CSU-OB bei der Stichwahl sogar in Gerolfing mit Pauken und Trompeten gegen seinen Herausforderer von der SPD durch. Wie es zu diesem Untergang des christlich-sozialen Abendlandes Schanzer Prägung kommen konnte, das ist alles in einem internen Dossier aus der Feder Hans-Jürgen Binners nachzulesen. Für den bewährten Nahverkehrsexperten ist ein gedanklicher Sprung, sagen wir, von der historischen Pferdebahn zum Wasserstoffbus der Zukunft sowieso eine seiner leichtesten Übungen. Ein schwieriges Geschäft war der ÖPNV aber schon immer. Vor hundert Jahren, im März 1921, stellte die von einem Pferd gezogene Straßenbahn zwischen Centralbahnhof und Münster ihren Betrieb ein.

rh