Eichstätt
Ein Heilig Herz, ein Janus und ein Gleichnis

26.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:59 Uhr

Raphael Grafs kraftvolles "Heiliges Herz" vor dem Wittelsbacher Brunnen. - Fotos: klf

Eichstätt (EK) Wer sich in diesen Wochen in Eichstätt auf die Spuren von Open HeArt im Zentrum der Altmühlmetropole begibt, der mag immer wieder auf Bürger und Gäste der Stadt treffen, die sich mit den Augen, aber auch mit der Nase und den Händen am Werk ein Bild von der Wirkung der insgesamt 27 fest im Stadtzentrum installierten Arbeiten machen möchten.

Im Gespräch über die Arbeiten deutet sich dann oft und meist auch sehr schnell an, dass Open HeArt womöglich gerade deshalb so gut angenommen wird, weil man sich im Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen und Tasten der Idee des Künstlers und dem Sinngehalt der Werke nähergekommen wähnt oder weiß. Und tatsächlich ist das auch so, wie sich hier im zweiten Teil unserer "Open HeArt"-Serie zeigt.

Sieglinde Bottesch zum Beispiel, die in Siebenbürgen geborene und seit 1987 in Ingolstadt lebende Kunsterzieherin und Künstlerin, die erst seit einigen Jahren von der Grafik weggegangen ist, um Kunstobjekte zu erfinden, meinte im Gespräch mit dem EK, dass ihr viele Bezüge, die ihr Werk "Gleichnis" zum Ausstellungsort in Eichstätt hat, selbst erst so nach und nach bewusst würden. Erspürt, erahnt, ertastet und "errechnet" hat sie, die für ihre zarten und doch kraftvoll dichten Zeichnungen längst überregional bekannt ist, diese Zusammenhänge ein ums andere mal mehr, wenn sie ihr "Gleichnis" in der Aula-Bibliothek am Graben besuchte, um es neu zu frisieren.

Denn der Kräuterrasen, der zu ihrer Arbeit gehört, die von einer Sentenz des Apostels Petrus begleitet ist, muss nicht nur mehrere Male in der Woche vom Bibliothekspersonal gegossen werden, damit er saftig grün bleibt, er hat auch erst vor ein paar Tagen wieder einen neuen "Feinschnitt" von der Hand der Künstlerin erhalten.

In seinem ersten Brief schreibt Petrus: "Denn alles Fleisch ist wie Gras und all seine Herrlichkeit wie die Blüte des Grases; das Gras verdorrt und die Blüte fällt ab, das Wort des Herrn aber bleibt in Ewigkeit", um die jungen Christengemeinden mit einem Gleichnis auf die Vergänglichkeit des irdischen und die Ewigkeit des paradiesischen Lebens hinzuweisen. Bottesch hat feinfühlig, leichthändig und sinnstiftend ein wahrhaftiges Bild zu diesem Petrus-Gedanken entworfen, das im Treppenhaus der Aulabibliothek einen beinahe schon angestammt zu nennenden Platz gefunden hat.

Eine Tierhaut hat sie zu gleichen Teilen aus 21 Schichten Chinapapier und einem Rasenstück in zwei große, weit geöffnete Folieantendeckel, die 140 auf 140 Zentimeter messen, hineingelegt. Dahinter steigen vier Gaze-Bahnen auf, die den Kernsatz des Petrusbriefes "alles Fleisch ist wie Gras" 24 Mal anführen – unendlich wahr eben und künstlerisch ganz konkret. Die vier Schriftbahnen wachsen zwei Meter achtzig in die Höhe und korrespondieren in ihrer Teilung mit der Fensterteilung des Treppenhauses in den schönen Aulahof hinaus.

Ein Gleichnis setzt sich immer in Beziehung zu der Welt, in die es hinein gesagt oder gezeigt wird, meint Bottesch. Ihr Gleichnis setzt sich zudem in Beziehung zur Architektur der Aula-Bibliothek von Karl Frey und es teilt sich unaufdringlich den Nutzern dieser Bibliothek mit.

Ebenfalls religiös-spirituellen Hintergrund hat eine kraftvolle Holzbildhauerarbeit des Eichstätters Raphael Graf am Leonrodplatz vor dem Wittelsbacher Brunnen. Graf wollte sein "Heiliges Herz", das er mit der Motorsäge frei schwebend aus einem knapp eine Meter Durchmesser aufweisenden und tonnenschweren Buchenstamm gesägt hat, ursprünglich vor der Notre-Dame-Kirche platzieren. Die sollte aber bald eingerüstet werden, und das hätte dem Heiligen Herzen, das ja einem Flügelaltar gleich auch ein Open HeArt ist, die Luft abgeschnürt.

"Der Geist weht, wo er will", antwortete Jesus dem Wahrheitssucher Nikodemus laut Johannes-Evangelium. Und der Geist der Kunst dringt zur Wahrheit vor, auch wo, wie und wann er will – jedenfalls hat Papst Benedikt XVI. das vor Jahren schon so definiert. So muss es nicht verwundern, dass Betrachter von Raphael Grafs Heiligem Herzen am Wittelsbacher Brunnen mit der thronenden Gottesmutter und im Angesicht der anatomisch richtig gestalteten, riesigen Herz-Plastik ganz unverhohlen äußern, dass es ja doch wohl genau das sei, was die katholische Kirche wieder ansprechen müsse, wieder gewinnen und berühren müsse, bei den Menschen: das Herz!

Und die Kunst? – Ja, die will und soll das auch. Graf hat die Herzkammern mit dem venösen und dem sauerstoffhaltigen Blut dann auch nicht einfach nur mit Abdeckfarbe ausgemalt. Nein, er hat den Farbeintrag geschüttet, die symbolhafte Farbe im Buchen-Herzen hin und her gewogen, um für das Pumpwerk Herz ein Sinnbild zu finden und um dem Gedanken, den man im Herzen wiegen und wägen kann und der das Herz berühren soll, einen bildhaften Ausdruck zu geben.

Deutlich profaner zeigt sich dagegen Albert Ferschs Jurahausstele "Janus" in der Brodhausgasse bei der Geschäftsstelle des Jurahaus-Vereins. Vor Jahren schon hat der Böhmfelder Pfarrer dem Künstler und Kunsterzieher, der ebenso wie Raphael Graf auch einen Lehrauftrag an der Uni Eichstätt hat, ein paar reichlich abgewitterte Eichenbalken vom Böhmfelder Glockenturm überlassen, als der saniert werden musste. Bei Fersch, der am liebsten zeichnet, lagen sie dann längere Zeit herum, ehe sie sich mit einer Werkidee bei ihm zu Wort meldeten. Im Janus-Objekt ist die Idee nun reales Bild im öffentlichen Raum geworden. Den jahrhundertealten, vollkommen schadhaften Eichenbalken hat Fersch mit jungem Fichtenbauholz zusammengespannt – geradeso, wie das bei der Sanierung von Baudenkmälern immer wieder erforderlich ist.

Darüber hat er die Silhouette eines Jurahauses gesetzt, die er plattenweise und mit einigen Mühen aus Legschieferplatten von Abbruchhäusern gezwickt hat und mit Glasscheiben ergänzte, um die Verbindung von alt und neu zu versinnbildlichen. Entstanden ist ein philosophisch untermauertes, feinsinniges und filigranes Mahn- oder Erinnerungsmal für die Jurahaus-Baukultur der Region. Ein Memento-mori, das man im Sinne der im Altmühltal traditionellen Baukultur auch als "carpe diem" verstehen kann: als Aufforderung dazu also, das Hirn einzuschalten, ehe die Abrissbirne zuschlägt.