Ingolstadt
Ein hartes Herz für Rollstuhlfahrer

Polizei stoppt Witwe wegen eines alten Versicherungskennzeichens – das Gericht stellt den Fall ein

19.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:56 Uhr

Ingolstadt (DK) Eine Ingolstädterin, die auf einen Krankenfahrstuhl angewiesen ist, fand sich jetzt vor dem Amtsgericht wieder. Die Polizei hatte sie leicht alkoholisiert und ohne Versicherungskennzeichen auf der Straße erwischt und ihr Gefährt deshalb vorübergehend stillgelegt. Der Richter stellte den Fall nun ein.

Solche Szenen erleben selbst erfahrene Strafrichter äußerst selten. „Für mich war es sogar der erste Fall dieser Art“, berichtet Michael Fein von dem Prozess, der dieser Tage bei ihm am Amtsgericht ablief. Der Auftakt war schon außerordentlich: Mit ihrem Krankenfahrstuhl, den sie wegen eines Rückenmarkinfekts als Fortbewegungsmittel braucht, bahnte sich eine 65-Jährige den Weg zum Aufzug im Justizgebäude. Ihr Gefährt passte gerade so in den Lift hinein. Als Angeklagte musste sie natürlich bei dem Prozess dabei sein, obwohl es ihr Mühe bereitete.

Die Anschuldigungen gegen sie hörten sich so an: Die Witwe rollte an einem Maiabend auf der Harderstraße mit ihrem elektrischen Krankenfahrstuhl auf der Harderstraße langsam nach Hause. Dabei fiel einer Polizeistreife auf, dass sie das alte, schwarze Versicherungskennzeichen dran hatte und nicht das blaue für 2012, das sie spätestens zum 1. März hätte präsentieren müssen. Bei der Kontrolle merkten die Beamten, dass die Seniorin Alkohol getrunken hatte. Der Alkomattest ergab knapp 0,6 Promille, sie war also etwas über der Grenze. Die Polizisten reagierten: Sie hoben die Frau in ihr Streifenfahrzeug um und legten den Krankenfahrstuhl vorübergehend still. Er stand eine ganz Nacht lang im Freien an der Straße.

Eine Anzeige und ein Strafbefehl gegen die gehandicapte Witwe folgten: Neben einer Geldstrafe von 800 Euro sah der ein Fahrverbot von einem Monat vor. „Das hätte zur Folge gehabt, dass sie zu Hause bleiben müsste“, weiß Richter Fein um die Folgen des Beschlusses. Soweit kam es aber nun nicht, da die Frau mit ihrem Anwalt Wolfgang Weiss sofort Einspruch einlegten. In der Verhandlung stellte das Gericht das Verfahren gegen eine Auflage von 500 Euro nun ein, weil auch die Staatsanwaltschaft mitzog.

„Die Polizei und die Anklagebehörde handelten natürlich streng nach den Buchstaben des Gesetzes“, sagt Anwalt Weiss. Dass er sich aber mehr Fingerspitzengefühl erwartet hätte, verbirgt der Verteidiger nicht. „Da muss man auch Mensch bleiben“, sagt sogar Richter Fein. „Die Dame ist auf den Rollstuhl angewiesen.“