München
"Ein gewisser Suchtfaktor ist dabei"

Psychologe Peter Fischer über die Arbeit von Ministerpräsident Horst Seehofer

18.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:17 Uhr

München (DK) Am kommenden Montag will Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bekannt geben, ob er weitermacht oder zurücktritt. Aber ist der Abschied aus einer solch exponierten Stelle überhaupt so einfach möglich? Arbeitspsychologe Peter Fischer (kleines Foto) erklärt die Tücken des Renteneintritts.

Herr Fischer, Horst Seehofer sagt über seine Zukunftsentscheidung, er wäre in der Lage, einen Schlussstrich zu ziehen. Viele in der CSU glauben dagegen, dass er gar nicht so einfach aufhören kann, weil er zu sehr an der Politik hängt. Können Politik, Macht und Aufmerksamkeit eine Sucht sein?

Peter Fischer: Das geht schon viel weiter unten los. Wenn Sie es ein Leben lang gewöhnt sind, einen Dienstwagen zu haben oder fünf Mitarbeiter, die tun, was Sie sagen, dann ist das natürlich ein sozialer Verlust. Dieses Denken ist aber nicht unbedingt negativ. Denn man will ja niemanden in solch einer Position haben, der daran gar keinen Spaß hat und dem die Position nichts bedeutet. Wenn die Arbeit Spaß macht, ist immer ein gewisser Suchtfaktor dabei. Das braucht man für sein Wohlbefinden, damit man das Gefühl hat, etwas Sinnvolles aus seinem Leben zu machen.

 

Ist das vergleichbar mit anderen Süchten wie Rauchen oder Alkohol?

Fischer: Es ist insofern etwas anderes, weil bei Alkohol und Drogen immer eine schädliche Wirkung dabei ist. Sie können aber auf alles süchtig werden, was das Belohnungszentrum im Gehirn befeuert, die entsprechenden Neuronen aktiviert und uns so ein Glücksgefühl verschafft - auf Zucker, Schokolade, Drogen oder auch Macht. Es gibt zwei Arten von Macht. Zum einen die konstruktive Macht, den Wunsch Dinge zu verändern. Und zum anderen die Macht in Händen von Narzissten, die einfach nur die Macht genießen, die sie über andere haben. Aber wenn jemand an seinem Job hängt, ist das nicht das Gleiche wie eine Substanzabhängigkeit.


Wenn man in einer exponierten Stellung ist, kann man dann überhaupt von einem Tag auf den anderen aufhören und die Finger davon lassen?

Fischer: Das geht natürlich schon, viele Leute bekommen aber Probleme.

 

Welche "Entzugserscheinungen" treten beim Übergang vom Arbeitsleben in die Rente auf?

Fischer: Gefühle von Sinnlosigkeit, Bedeutungslosigkeit, Resignation, Angst - ganze Kammern an negativer Affektivität, die unser Gehirn bekämpft. Vor allem bei Männern gibt es in den ersten fünf Jahren des Ruhestands ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wenn man sich aber an den Ruhestand gewöhnt hat, geht die Erkrankungswahrscheinlichkeit wieder runter. Betroffen sind vor allem Menschen, die sich vorher keine Gedanken gemacht haben, was sie im Ruhestand machen wollen.

 

Wie kann man sich auf den Ruhestand vorbereiten?

Fischer: Viele widmen sich ehrenamtlichen Aktivitäten und versuchen noch einmal etwas zu hinterlassen. Jemand wie Horst Seehofer mit seinem Netzwerk hat da natürlich vielfältige Möglichkeiten. Die Forschung zeigt: Den Ehrenamtlichen geht es total gut. Und dann gibt es natürlich die Möglichkeit, sich intensiv Hobbys zu widmen. Seehofer ist ja ein großer Modelleisenbahnfan. Es geht immer um die positive Emotion. Wenn er daran eine ähnliche Freude wie in seinem Job erlebt, dann gibt es kein Problem.

 

Welche Rolle spielen Familie und Freunde im Moment des Aufhörens?

Fischer: Familie und Freunde sind immer wichtig - nicht nur zu Beginn des Ruhestands. Ein gutes soziales Netzwerk ist wie ein Immunsystem gegen psychische Erkrankungen. Das heißt nicht, dass man keine psychischen Erkrankungen erlebt, aber die Wahrscheinlichkeit geht runter. Und falls man erkrankt, ist die Heilungswahrscheinlichkeit größer. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und wenn wir keine Freunde haben, leiden wir. Deswegen werden Gewalttaten auch häufig von Menschen ohne Freunde ausgeübt.

 

Seehofer trifft seine Entscheidung nicht wie andere Führungskräfte nur für sich alleine, sondern unter Beobachtung der gesamten bayerischen Öffentlichkeit. Kann das eine Entscheidung beeinflussen?

Fischer: Das kommt auf den Typ an, Menschen sind wahnsinnig heterogen. Aber grundsätzlich gilt: Wenn Medien das Hirn erreichen, gibt es niemanden, den das überhaupt nicht beeinflusst.

 

Als Ministerpräsident und Parteichef hat Seehofer eine sehr große Fallhöhe. Ist es schwieriger aufzuhören, je weiter oben man steht?

Fischer: Je höher Sie stehen, desto mehr Geld, Status und Macht haben Sie. Das macht die Verlustaversion stärker. Die Menschen wollen Dinge, die sie haben, nicht hergeben. Das ist evolutionär tief verankert. Auf der anderen Seite steigen natürlich mit einer hohen Position der Stress, das Pensum und die Kosten, die mit einer solchen Stellung verbunden sind. Daher ist je nach Persönlichkeit beides vorstellbar: dass die Position das Aufhören schwieriger oder auch einfacher macht.

 

Peter Fischer ist Professor für Sozial-, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie. Der 43-Jährige forscht an der Universität Regensburg.

 

Das Gespräch führte Daniel Wenisch,

Foto: privat.