Ingolstadt
Ein Geschenk für die Region

Vor 25 Jahren ging das Georgische Kammerorchester nach Ingolstadt ins Exil – Heute Abend feiern die Musiker mit einem Konzert Jubiläum

16.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:48 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Das Georgische Kammerorchester feiert Jubiläum – und kaum einen kümmert es: Fast könnte man diesen Eindruck gewinnen. Nur ein Konzert ist zur Erinnerung an diesen wirklich entscheidenden Umbruch in der Geschichte des Orchesters heute Abend geplant. Und an der Veranstaltung ist kaum etwas spektakulär. Das Programm präsentiert einige Lieblingsstücke des Orchesters, aber kein wirkliches Hauptwerk und keinen namhaften Solisten. Nicht einmal der Chefdirigent des Orchesters, Ruben Gazarian, wird an dem Abend anwesend sein. Für ihn wird sein Vorgänger Benjamin Shwartz auf dem Dirigentenpult stehen – ein für diesen Anlass denkbar ungeeigneter Kandidat, da er das Orchester nur als Interims-Chef für ein Jahr geleitet hat. Außergewöhnlich ist allenfalls das Violinkonzert, komponiert vom Orchestermitglied Igor Loboda, das der Konzertmeister Irakli Tsadaia als Solist interpretieren wird. Und die Tatsache, dass für das Konzert kein Eintritt verlangt wird – es ist ein Geschenk an die Ingolstädter.

Das wirkt alles, als handele es sich um einen lieblos absolvierten Pflichttermin. Aber vielleicht ist das Orchester einfach des Feierns müde. Immerhin wurde im vergangenen Jahr mit großem Aufwand das 50-jährige Bestehen des Ensembles in Ingolstadt gefeiert.

Dennoch: Das, was sich ziemlich genau vor 25 Jahren ereignete, ist von ungeheurer Bedeutung für das Orchester und auch für die Stadt Ingolstadt und verdient der besonderen Beachtung. Denn seitdem ist das Orchester kein georgisches Orchester mehr, sondern ein Exil-Orchester. Es geschah am 19. August 1990, als das NDR-Sinfonieorchester in der Marienkirche in Lübeck mit Antonin Dvoraks „Stabat Mater“ das Abschlusskonzert des Schleswig Holstein Musik Festivals gestaltete. Nach dem Konzert trat eine freundliche Dame zusammen mit dem Dirigenten Justus Frantz an den damaligen Audi-PR-Chef Karl-Heinz Rumpf heran. Die Dame war die bedeutende Geigerin und Oistrach-Schülerin Liana Issakadze, die damals das Staatliche Georgische Kammerorchester leitete. Die Dame hatte ein Anliegen: Ihre Musiker wollten nach den Konzerten beim Festival nicht mehr in ihre vom Bürgerkrieg zerrüttete Heimat zurückkehren und suchten vorübergehend eine Unterkunft. Ob er, Rumpf, etwas tun könne für das kleine Orchester, „nur bis Weihnachten“. Es war ein von Rumpf häufig erzählter Kalauer, dass Liana Issakadze damals nicht erwähnt hätte, bis Weihnachten welchen Jahres sie bleiben wollten.

Nun ja, sie sind immer noch hier, und darüber, dass das Orchester noch einmal zurückkehren könnte, wird schon seit sehr langer Zeit nicht mehr geredet. Das Georgische Kammerorchester gehört zu Ingolstadt, darüber gibt es nicht den leisesten Zweifel. In Zeiten, in denen die Zeitungen täglich voll sind mit Artikeln über Flüchtlinge und über Ängste vor den Einwanderern, sollte vielleicht einmal darüber nachgedacht werden, dass es Fälle perfekt gelungener Integration gibt. Das Georgische Kammerorchester ist ganz sicher dafür ein hervorragendes Beispiel. Und das hat sowohl etwas mit den Musikern zu tun, die sich bereitwillig auf die ganz andersartige Lebensart der Bayern eingelassen haben, als auch etwas mit der Hilfsbereitschaft und der Willkommenskultur der Ingolstädter.

Dabei verlief die Integration natürlich nicht völlig reibungslos. Viele Ingolstädter, die die damals noch ziemlich hilflosen Musiker in Ingolstadt unterstützt haben, können unzählige Anekdoten über deren Schwierigkeiten, hier Fuß zu fassen, erzählen. Und vor allem entwickelte sich das Orchester ganz anders, als die meisten es 1990 erwartet hatten. Denn das Staatliche Georgische Kammerorchester hatte damals einen fast schon einzigartigen Stellenwert in der Musikkultur. Es galt manchen Experten als das vielleicht beste Kammerorchester der Welt. Das Orchester tourte rund um den Globus und in die größten Konzertsäle, wurde umjubelt und geehrt. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, in den 80er Jahren, gastierte das Orchester auch einmal, euphorisch gefeiert, beim Ingolstädter Konzertverein.

Als das Orchester sich in Ingolstadt ansiedelte, war es fast schlagartig mit dem Ruhm vorbei. Durch die Öffnung des Ostblocks wurden die Karten im Musikgeschäft neu gemischt. Andere, bisher wenig beachtete Orchester aus dem Osten konnten günstig gebucht werden, die Georgier im Westen waren auf einmal vergleichsweise teuer. Enttäuscht war besonders Liana Issakadze, die das Orchester nach Ingolstadt geführt hatte. Sie verließ ihre Musiker bereits fünf Jahre später. Das Orchester hatte damit in seiner Geschichte den Tiefpunkt erreicht.

Fünf weitere Jahre sollte es dauern, bis sich die Stadt wieder dazu entscheiden konnte, einen Chefdirigenten zu engagieren. Der damals noch ganz junge und ziemlich unerfahrene, allerdings hochbegabte Münchner Markus Poschner übernahm das Orchester und stürzte sich in die Arbeit. Aber die Straße des Erfolgs war unterbrochen, es gab nichts mehr, woran man anknüpfen konnte. Sogar der Musikgeschmack in der Klassikszene hatte sich inzwischen gewandelt. Andere kleine Orchester, die meistens Alte Musik auf Originalinstrumenten interpretierten, waren inzwischen in Mode. Für die osteuropäisch-romantische Tradition der Georgier interessierte man sich kaum noch. Um es in der Sprache des Sportes zu sagen: Das Georgische Kammerorchester war permanent abstiegsgefährdet. Wenn heute auf der Homepage des Orchesters die Überschrift zu finden ist „Auf den Bühnen der Welt zu Hause“, dann ist das eher Wunschdenken. Denn Gastspiele in wirklich bedeutenden Konzertsälen sind eher die Ausnahme, Tourneen ins Ausland finden selten statt, bei den bedeutenden Musikfestivals ist das Orchester nicht präsent.

Der Grund für den Niedergang des Orchesters zu finden ist nicht allzu schwer: Das Orchester wurde (und wird) nicht besonders gut und professionell gemanagt. Denn an den hervorragenden Musikern hat sich ja nicht besonders viel verändert. Dem Orchester fehlte ein Mann wie Peter Jackwerth, der kämpferische Klub-Präsident des FC Ingolstadt, ein absoluter Wille zum Erfolg bei den Stadtvätern. Deshalb konnte der FCI innerhalb von elf Jahren einen kometenhaften Aufstieg erleben, nicht allerdings das Georgische Kammerorchester.

Trotz des Bedeutungsverlusts auf den nationalen und internationalen Podien ist die Präsenz des Orchesters in Ingolstadt dennoch eine Erfolgsgeschichte. Das Georgische Kammerorchester hat seinen Charakter grundlegend verändert. Aus einem Reiseorchester wurde fast schon ein städtischer Klangkörper. Ein Orchester, das vernetzt ist mit der regionalen Kulturszene, deren Musiker in unzähligen kleinen Formationen auftreten, die in der städtischen Musikschule unterrichten und deren Abonnementkonzerte vom Publikum gefeiert werden. Aus dem international bewunderten Elite-Ensemble wurde ein bedeutsames Regionalorchester.

Für die meisten Musiker des Orchesters ist das letztlich allerdings doch keine befriedigende Entwicklung. Und vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum man das Jubiläum so zurückhaltend feiert. Denn die 25 Jahre in Ingolstadt erinnern schmerzlich an den Abstieg in die Zweitklassigkeit.

Sollten die Georgier mit der regionalen Erfolgsgeschichte zufrieden sein? Wohl kaum. Dazu war die Geschichte des Orchesters zu glanzvoll. Das kann nicht einfach weggewischt werden. Und daran sollte man sich auch erinnern beim heutigen Jubiläumskonzert – wenn es auch viel zu bescheiden und zu glanzlos für ein so wunderbares Orchester ausfällt.