Frankfurt (DK
"Ein genialisches Sprachkunstwerk"

Deutscher Buchpreis für Frank Witzels 800 Seiten langen Roman über die alte Bundesrepublik

12.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:41 Uhr

Frankfurt (DK) Für seinen Roman über die alte Bundesrepublik hat der Autor Frank Witzel den Deutschen Buchpreis 2015 gewonnen. Das Buch mit dem Titel „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ wurde gestern Abend in Frankfurt als beste deutschsprachige literarische Neuerscheinung des Jahres ausgezeichnet.

Witzels Buch, von der Kritik hochgelobt, galt im Wettbewerb aber eher als Außenseiter.

Der 60-jährige Autor schildert im Roman aus der Sicht eines 13-Jährigen, der im Wiesbadener Ortsteil Biebrich heranwächst, die muffige Nachkriegszeit und deren (pop-)kulturellen Umbruch. In dem 800 Seiten langen und rund ein Kilogramm schweren Buch mit dem barocken Titel bedient sich Witzel – ohne chronologische Ordnung – unterschiedlichster literarischer Formen. Das Buch mit seinen zahlreichen Perspektivwechseln ist voll von Episoden, informativen Einschüben und philosophischen Abschweifungen.

„Frank Witzels Werk ist ein im besten Sinne maßloses Romankonstrukt“, begründete die Jury den Preis. In seiner Mischung aus „Wahn und Witz, formalem Wagemut und zeitgeschichtlicher Panoramatik“ sei der Roman einzigartig in der deutschsprachigen Literatur. Frank Witzel begebe sich „auf das ungesicherte Terrain eines spekulativen Realismus. Mit dem Deutschen Buchpreis wird ein genialisches Sprachkunstwerk ausgezeichnet, das ein großer Steinbruch ist, ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia.“

In der Endausscheidung setzte Witzel sich gegen Jenny Erpenbeck („Gehen, ging, gegangen“), Rolf Lappert („Über den Winter“), Inger-Maria Mahlke („Wie Ihr wollt“), Ulrich Peltzer („Das bessere Leben“) und Monique Schwitter („Eins im Andern“) durch.

Der in Offenbach/Main lebende Witzel, in Wiesbaden gebürtig, ist nicht nur Autor: Er ist auch als Musiker und Illustrator hervorgetreten. Mit 22 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband. 2001 erschien sein Roman „Bluemoon Baby“, zwei Jahre später „Revolution und Heimarbeit“. Die Geschichte der Bundesrepublik dient Witzel als Spielwiese für oft groteske Einfälle und literarische Verschwörungstheorien.

Die Materialsammlung für seinen neuen Roman, so verriet Frank Witzel der „Frankfurter Rundschau“ in einem Interview im September, habe 15 Jahre gedauert. Dabei habe er auch auf die eigene Biografie zurückgegriffen – der Erzähler und Held seines Romans ist wie Witzel 1955 geboren. Das heißt: zu jung für die 68er Bewegung und zu alt für die nachfolgende Popper-Generation oder Generation Golf. Auch beim Lokalkolorit schöpft Frank Witzel aus eigener Anschauung im Rhein-Main-Gebiet.

Der Deutsche Buchpreis, 2005 erstmals vergeben an den nach Ansicht der Jury „besten Roman in deutscher Sprache“, gilt als wichtigste Auszeichnung der Branche. Über den Preis entscheidet eine siebenköpfige Kritikerjury. Dem Sieger winkt neben 25 000 Euro in der Regel auch ein Platz auf der Bestsellerliste. Mit dem Deutschen Buchpreis und seinem Findungsverfahren rücken nicht nur Autoren in den Mittelpunkt, sondern eine ganze Reihe von Büchern, die sonst nicht diese Aufmerksamkeit der Leser erhalten hätten: Aus 199 Buchtiteln, die zwischen Oktober 2014 und September 2015 erschienen sind, wurde die Longlist mit 20 Titeln erstellt. Diese und die Shortlist mit den Finalisten wurden in Diskussionsrunden mit ausgewiesenen Fachleuten ermittelt. Im vergangenen Jahr gewann Lutz Seiler den Preis für seinen auf Hiddensee spielenden DDR-Aussteigerroman „Kruso“. Der Preis wird traditionell am Vorabend der Frankfurter Buchmesse bekannt gegeben und zugleich überreicht.

Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Roman. Matthes und Seitz, 817 Seiten, 29,90 Euro.