stadtgeflüster
Ein Geflüster für die Ewigkeit

16.05.2019 | Stand 02.12.2020, 13:57 Uhr

(sic) Die Sache mit der Ewigkeit ist immer relativ.

Mal dauert sie länger, mal kommt ihr Ende früher, als man es sich vorstellen kann. Ähnlich variiert das Verhältnis bestimmter Berufsgruppen zur Zeit an sich. Sicher, die meisten Arbeitnehmer warten im Wesentlichen darauf, dass es endlich Fünfe wird. Aber es gibt auch Werktätige, die eher Richtung Ewigkeit tendieren.

Ein Förster etwa ist sich dessen bewusst, dass er alles, was er in einem Wald bewirkt, nicht mehr in voller Blüte erleben wird. Welche Entwicklung eines Forsts er mit dem Pflanzen von Bäumen anlegt, kann frühestens die vierte Generation nach ihm in aller Pracht bewundern ("Uropa stand einfach auf Hainbuchen, das ist echt nicht zu übersehen"). Architekten dagegen ahnen, dass ihre Werke von kürzerer Lebensdauer sind als eine kräftige deutsche Eiche. Sie träumen aber insgeheim davon, Bauten für die Ewigkeiten zu erschaffen. Zumindest aber solche, die nicht nach 50 Jahren wieder abgerissen werden, weil die Sanierung zu teuer käme.

Wobei sich - ein lokales Beispiel - neuerdings tatsächlich der Denkmalschutz für das dem Abriss geweihte Apian-Gymnasium (eingeweiht 1977) interessiert. Wenn man jetzt alle Schulzentren aus den 1970ern abreiße, sagen sensible Architekten, würde eine ganze Epoche Baugeschichte verschwinden, und in 100 Jahren könnten die Menschen nicht mehr im Original sehen, wie man im Bayern der 1970er-Jahre Schulzentren gebaut hat; zumindest dürfte bis dahin das neue Apian stehen.

Auch die Redakteure von Tageszeitungen pflegen ein ganz besonderes Verhältnis zur Zeit. Sie wissen natürlich, dass mit den Seiten, die sie am Donnerstag kreativ und konzentriert zuschreiben, am Samstag auf dem Wochenmarkt der Salat eingewickelt wird. Aber eben erst am Samstag! Denn am Tag zuvor freuen sich die Leser auf die Zeitung. Es ist auch schön zu wissen, dass viele unserer Artikel in Aktenordnern, Fotoalben oder sogar hinter Glas die Jahrzehnte überdauern - stolz aufbewahrt von jenen, die mit den Texten oder Bildern verewigt wurden.

Die DK-Ausgabe, die Sie jetzt in Händen halten, ist eine historische. Ein Exemplar wird am heutigen Freitag um 15.30 Uhr in einer Zeitkapsel ins Kavalier Dalwigk eingebaut, um so symbolisch den Start der Sanierung zu untermauern. Ab 2021 soll in dem alten Kasten ein digitales Gründerzentrum aufblühen.

Was wird sein, wenn die Zeitkapsel, sagen wir, 2119 wieder auftaucht? Ist der Dalwigk dann ein von Flugtaxis umschwärmter Hotspot im Bavarian Silicion Valley? Oder eine Investitionsruine? Weil in grauer Vorzeit die jungen, hippen Gründer in eine richtige Großstadt umgezogen sind, sobald sie Erfolg hatten.

Vielleicht geht die Geschichte auch so weiter: In 40 Jahren muss der Dalwigk schon wieder saniert werden. Arbeiter finden die Zeitkapsel, ziehen den DK vom 17. Mai 2019 raus, lesen im Stadtgeflüster vom Apian-Gymnasium und ächzen: "Manche Dinge ändern sich wirklich nie. "