Frankfurt
Ein fulminantes Fest der Farben

Städel in Frankfurt zeigt "Tizian und die Renaissance in Venedig" - Erste Überblicksschau in Deutschland

15.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:39 Uhr
Leuchtende Farben und spektakuläre Lichteffekte: Von Tizian stammt die Madonna mit Kind mit der heiligen Katharina sowie einem Hirten (Die Madonna mit dem Kaninchen). −Foto: Artothek, bpk/RMN-Grand Palais/Michèle Bellot, Samuel H. Kress Collection

Frankfurt (DK) Irgendwann ist ist man in Venedig angekommen.

Akustisch, weil Julia Jäger, die Paola Brunetti in den Donna-Leon-Filmen der ARD spielt, den Audioguide besprochen hat. Gedanklich und visuell, weil man auf den Spuren des Malerfürsten Tiziano Vecellio (um 1488/1490-1576) wandelt, der in der Lagunenstadt des 16. Jahrhunderts in die Vollen greifen konnte. Der legendär für seinen Umgang mit der Farbe war, die er nicht als Pigmente - wie seine Kollegen in Florenz oder Rom - in der Apotheke kaufen musste, sondern direkt bei den Farbhändlern, die in der Luxus- und reichen Handelsstadt ihre Waren aus aller Welt anboten.

Das Städel Museum in Frankfurt zeigt in der Ausstellung "Tizian und die Renaissance in Venedig" mehr als 100 Meisterwerke aus Museen und Sammlungen weltweit, darunter 20 von Tizian. Mehr war hierzulande in einer Ausstellung noch nicht nicht zu sehen. Tizians Lehrer Giovanni Bellini ist genauso vertreten wie seine Kollegen und Konkurrenten Lorenzo Lotto, Jacopo Bassano, Jacopo Tintoretto oder Paolo Veronese. Es ist eine fulminante Schau, ein Fest der Farben. In der Serenissima haben die Maler Leuchtkraft, Lichteffekte und Kontraste entwickelt, waren für diese Künste berühmt, jeder auf seine eigene Art und Weise.

Da strahlt ein atemberaubender Abendhimmel in sanften Übergängen von Orange zu Blau, da sticht der rote Mantel des heiligen Hieronymus in der Wüste ins Auge, da schimmert feierliches Goldgelb, begeistert das saftiges Grün der Palmblätter oder mutet das schrille Pinkorange der Kleider oder das Ultramarinblau des Himmels modern an, vor allem, wenn sich die Großzügigkeit des Farbauftrags mit dem locker gesetzten, fast abstrakten Pinselstrich verbindet.

Doch es ist nicht nur das "colorito alla veneziana", das Venedig so bedeutsam und Tizians Kunst und die seiner Zeitgenossen so wegweisend werden ließ. Es ist auch die Fähigkeit für Porträtmalerei und die Erzählfreude. Wenn etwa Lorenzo Lotto das Jesuskind ungestüm nach dem Herzen des heiligen Ignatius von Antiochia greifen lässt, wenn Tizian in seinem Gemälde "Madonna mit dem Kaninchen" die strenge Szene auflockert, das Kind mit seinen Patschhändchen nach der heiligen Katharina greift und zum Kaninchen strebt, oder wenn Paolo Veroneses "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" weniger einem strengen und andachtsvollen Altarbild denn eher der Darstellung eines geselligen Beisammenseins oder einem intimen Familienbild gleicht. Voll anekdotischer Elemente, voller Fabulierlust: In der Palme hängt akrobatisch ein Engel, der die Datteln schwungvoll nach unten wirft, zwei weitere Engel kümmern sich liebevoll um Ochs und Esel, und das weiße Leibchen Jesu liegt im Blattwerk der Palme zum Trocknen.

Den Besonderheiten der venezianischen Renaissance gehen die Ausstellungsmacher in acht Kapiteln nach, geben somit die Möglichkeit, die Künstler in den Genres und Themen zu vergleichen. Sie zeigen die Entdeckung der Landschaft, den männlichen Akt in den Heiligenbildern, die Idealdarstellungen schöner Frauen, "belle donne", die lässig eleganten jungen Männer in Schwarz, die "Gentiluomini". Sie präsentieren die Sacra Conversazione, Nymphen in Arkadien oder Heilige in der Wildnis und die Rezeption der venezianischen Malerei in der europäischen Kunst. El Greco, Peter Paul Rubens, Guercino und die großen französischen Maler des 19. Jahrhunderts: Sie alle haben sich mir der farbgewaltigen Malerei Tizians und seiner Zeitgenossen auseinandergesetzt und sich für ihr Schaffen inspirieren lassen.

Gewagt ist das Ende der spektakulären Schau mit den großformatigen Museumsfotografien von Thomas Struth. Kurator Bastian Eclercy will den Besucher dort abholen, wo er grade steht, sagte er. Nämlich im Zeitalter der Musealisierung der Malerei. "Und auf dem Louvre-Foto sieht man an einer Stelle ein Bild, was man schon kennt aus der Ausstellung, nämlich die berühmte Madonna mit dem Kaninchen aus dem Louvre, die man im ersten Saal als eine der prachtvollen Leihgaben auf der linken Wand schon bewundern konnte. Da schließt sich gewissermaßen der Kreis. " - Das hätte nicht sein müssen. Man wäre viel lieber noch eine Weile im venezianischen Farben- und Bilderkosmos geblieben.

Städel Frankfurt, Tizian und die Renaissance in Venedig, bis 26. Mai, Di bis So 10 bis 18, Do und Fr bis 21 Uhr, Der Katalog ist im Prestel-Verlag erschienen und kostet während der Ausstellung 39,90 Euro.

 

Katrin Fehr