Ein echtes Stellwerk im Keller

12.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:53 Uhr

Ein Keller voller Kostbarkeiten: Karl Reichler hat jahrzehntelang einzigartige Belege aus der Geschichte der Eisenbahn in Ingolstadt zusammen getragen. Das Stadtmuseum würde die Sammlung gerne übernehmen, könnte derzeit aber nur ausgewählte Stücke in einer Dauerausstellung präsentieren. - Foto: Stadik

Ingolstadt (DK) In einem kleinen Keller an der Münchner Straße wartet eine große Zahl an zum Teil einmaligen historischen Fundstücken: Der Sammler Karl Reichler hat hier in vier Jahrzehnten einzigartige Belege für die bedeutende Geschichte der Eisenbahn in Ingolstadt zusammen getragen.

Der handgezeichnete Plan stammt vom Dezember 1869. Auftraggeber war die "Königliche Eisenbahnbausection". Mit blauer und roter Farbe sind akkurat die Trassen südlich der Donau eingezeichnet. Das geschichtsträchtige Dokument ist ein einzigartiges Zeitzeugnis - und das Prunkstück in der Sammlung von Karl Reichler, die im Keller eines Ingolstädter Mietshauses in der Nähe des Hauptbahnhofs untergebracht ist. Sein Original des Bauplanes ist ein Beleg für die bewegte Geschichte der Eisenbahn in der Region. Immerhin ist darin der Schanzer "Centralbahnhof" in Oberstimm geplant, ein paar Kilometer südlich von Ingolstadt. "Jahrelang wurde darüber gestritten", erzählt der 83-Jährige, der von 1955 an über 33 Jahre bei der Bahn gearbeitet hat.

Die Ingolstädter haben ihren Hauptbahnhof am heutigen, stadtnahen Standort sogar einem Dekret von König Ludwig II. zu verdanken, der sich gegen die Bedenken des Militärs durchsetzte: Aus Sicht der Soldaten sollte die wichtige Station entweder innerhalb der bayerischen Landesfestung liegen, um im Kriegsfall wirksam verteidigt werden zu können, oder eben zehn Kilometer entfernt. Als Kreuzung der wichtigen Strecken von München nach Treuchtlingen oder Regensburg nach Donauwörth konnte Ingolstadt fortan seine Position als Verkehrsknotenpunkt in der Mitte Bayerns ausbauen.

An die Zeit, in der noch Dampflokomotiven die Waggons zogen, erinnert Karl Reichlers Lampensammlung, die von der Laterne mit Kerze über die Karbidleuchte bis zu den modernen Lichtspendern reicht. "Nur der Kienspan fehlt", schmunzelt der ehemalige Rangierarbeiter, der zuletzt als Personalratsvorsitzende der Ingolstädter Bahnbediensteten tätig war. Heute noch führt Reichler ohne Zögern die wichtigen Handzeichen für den Zugführer vor. "Der Karl war zweimal verheiratet", witzelt sein Freund Ralf Mühlenbeck", "einmal mit seiner Ehefrau und einem mit der Eisenbahn."

Eine historische Signallampe, die Karl Reichler vor 40 Jahren von einer Eisenhändlerin geschenkt bekam, "war der Beginn der Leidenschaft", erinnert sich der 83-Jährige. Seine Sammlung umfasst zahlreiche Dokumente und Originalgegenstände aus der Welt der Bahn. So manche Kostbarkeit hat er vor dem Müll gerettet, einiges aber auch gekauft: Das funktionsfähige Stellwerk aus Peindorf hat zum Beispiel 1500 Mark gekostet. Viel Zeit steckt in der kompletten Batterie aller Bahn-Stempel aus der Region.

Vor ein paar Jahren hat der Sammler seine Prunkstücke bereits in einem Ingolstädter Kaufhaus präsentiert. "Die Ingolstädter sollen wissen, woher der Wohlstand kommt", erläutert Reichler seine Mission für diesen wichtigen, wirtschaftlichen Aspekt der Industrialisierung. Seine Vision: zwei Räume mit einer ständigen Ausstellung im Stadtmuseum. Seit Jahren laufen die Gespräche, sind aber zuletzt ein wenig eingeschlafen. "Wir sind sehr interessiert und würden die Sammlung gerne übernehmen, betont Kulturreferent Gabriel Engert. Vor allem aus räumlichen Gründen könne das Angebot von Reichler derzeit jedoch nicht angenommen werden.

Beatrix Schönewald, die Leiterin des Museums, findet das Engagement des Sammlers "toll" und würdigt ebenfalls die Bedeutung der Bahn für Entwicklung von Ingolstadt. Eine Dauerausstellung mit allen Exponaten sei jedoch "schwierig". Beatrix Schönewald sucht daher nach Kompromissen: "Ich bin bereit, ausgewählte Stücke der Sammlung in die zeitgenössische Abeilung aufzunehmen", sagte die Museumsleiterin, die nun erneut die Gespräche mit Reichler aufnehmen will. Dem Eisenbahner wäre es nur Recht: "Die Sammlung gehört hierher, die will ich nicht woanders hingeben", stellt Reichler klar.